Samstag, November 08, 2014

Losglück

 


Wir erinnern uns: Hank hatte den Fehler begangen, zwei hübsche Anglistikstudentinnen aus good old Europe in seine Wohnung zu lassen. Flup! – hatte er ein kleines Metalldingens im Ohr und landete im Cyberspace. Dort hatte man gerade auf einen wie ihn gewartet. Mit einer Gruppe netter Leute, die er allesamt in irgendwelchen Kneipen kennengelernt hatte, machte Hank sich auf, die Welt zu retten...
Bullshit. Wenn Hank eines nicht vorhatte, dann dies, die Welt zu retten. Die Welt konnte ihm gestohlen bleiben. Er hätte gern weiter gemütlich im Freundlichen Arm gesessen, dem Schwager Jaheiras seinen Weinkeller leergesoffen und der Zeit beim Verrinnen zugesehen. Man – das heißt Sally – zwang ihn eines Morgens, sich zu Fuß in Richtung Nashkell zu begeben. Frühmorgens! Zu Fuß! Er wußte weder, was dieses Nashkell war, noch wo es zu finden sei. Er glaubte, daß es keine wirklich kluge Idee sein könne, die Welt zu retten. Und in diesem seinem Glauben war er nun bestätigt worden. Man war auf einen eher schwergewichtigen Herrn Oger getroffen. Dabei hatten sich Mißverständnisse eingeschlichen, ein Wort gab das andere, irgendwie kam es schließlich zu krisenhaften Konfliktlösungsstrategien und – nun ja – Gewalt. Ähnlich, wie der große Deumel aus Baldurs Tor war dabei der große Oger umgefallen. Ratet mal, auf wen...

Den Punkt, bis zu welchem ich mich schlecht fühlte, hatte ich hinter mir. Nun fühlte ich gar nichts mehr. Ich lag so rum, schaute mir meine Hand an, die da krallenartig sich streckte, ohne daß ich sie hätte bewegen können, und dachte mir: Aha, das ist also der Tod. Vor mir flimmerten drei Schriftzüge wie aus wurstfarbenen Neonröhren: „Reload – Exit – Continue“. Was das sollte, war mir schleierhaft. Reload – ja was sollte denn erneut geladen werden? Einen Ausweg sah ich auch nicht und entschied mich, weiterzumachen. Continue. Womit machte ich weiter? Vorerst mit Herumliegen.
Auf mir lastete ein achthundert Kilo wiegender Fleischberg, der mit einem Ellbogen meine Schläfen eingedrückt hatte. Eigentlich schien das Spiel aus zu sein. Seltsamerweise kriegte ich immer noch mit, was das da draußen für ein Wetter war. Seltsamerweise ärgerte ich mich immer noch, bei so einem Wetter überhaupt auf die Straße gegangen zu sein. Allerdings hatte ich ausnahmsweise mal keinen Bierdurst.

Die anderen kamen angerannt. Vorneweg Sally, ihr auf den Fersen Babydoll Moni, Khalid und Jaheira. Nur Bayan ließ sich etwas Zeit und spazierte gemütlich hinterher.
„Oh mein Gott, er hat Hank umgebracht!“, rief Sally. „Dieses miese, dreckige Ogerschwein hat meinen Geliebten geplättet. Arrgh, das wird er bereuen, dafür mache ich ihn...“
Jaheira sah die Sache nüchterner: „Der wird nix mehr bereuen, der ist völlig hinüber. Guckt doch mal, Moni hat ihm die Zähne bis runter in den Schlund verpflanzt. Und hier: die Pfeile von Bayan stecken in seinen Augen wie Kerzen in Götterspeise!“
„Aber wir sollten Hank doch helfen. Vielleicht kann man ihn ja reanimieren?!“, fragte Moni. „Jaheira, kannst Du sowas nicht?“
Jaheira blickte skeptisch auf mich runter und murmelte: „Naja, manchmal hilft Mund-zu-Mund-Beatmumg. Aber das kam bei mir im Erste-Hilfe-Kurs noch nicht dran.“
„Dann versuche ich es eben!“
Monit beugte sich über mich und drückte mir ihre bärtigen Lippen in die Visage. Sofort schreckte sie zurück. „Der Typ stinkt aus dem Maul, das ist ja abartig! Verweste Fische sind dagegen etwas, das man sich als Parfum hinter die Ohrläppchen tupfen möchte! Wer den von Mund zu Mund beatmen will, riskiert sein eigenes Leben!“
„Ich frage mich auch, ob Mund zu Mund-Beatmung da noch viel bringen würde.“, ergänzte Jaheira „Mir sieht es so aus, als hätte er einen Schädelbasisbruch. Wie der Rest seines Körpers beschaffen ist, können wir erst in Erfahrung bringen, wenn wir den Oger von ihm runtergewälzt haben.“
„Ja, aber irgendetwas müssen wir doch mit Hank machen!“, jammerte Sally.
„Wir könnten ihn den Raben zum Fraß daliegen lassen.“, schlug Bayan vor, der inzwischen herangeschlendert war.
„D-d-d-du bi-bi-bist ein h-h-h-herzloser B-b-b-bube!“, empörte sich Khalid.
Auch Sally guckte den Drow skeptisch an. Ja, sie liebte mich eben! Ich genoß ihre Solidarität über den Tod hinaus.
„Ich wüßte da eine Möglichkeit.“, meinte Moni, „Hier in der Gegend gibt’s ein kleines Dorf und etwas östlich dieses Dorfes gibt’s einen Tempel, in welchem ein Priester arbeitet, der vor Jahren mal in einem Seminar von mir abgeschrieben hatte. Wurde strafversetzt dorthin. Von ihm könnten wir Hank wiederbeleben lassen!“
„Sowas ist machbar?!“, fragte Sally hoffnungsvoll.
„Na klar, Wiederbelebungen hat jeder niedergelassene Geistliche im Repertoire. Man zapft einfach die Essenz Gottes an und...“
„Welchen Gottes denn bitteschön?“, unterbrach Jaheira. „Soweit ich informiert wurde, gibt es überhaupt keine Götter, sondern nur die allgewaltige Mutter Natur! Deren Schwingungen man allerdings durch Interferenzmodulationen...“
„Keine Götter?!“, kreischte Moni, „Du leugnest die wahre Existenz der allerhöchsten Entitäten, du zweifelst an den ewig wahren Emanationen göttlicher Wesenheit? Schweig lieber still, wenn du nicht den Zorn der Himmelsherrscher auf uns herabbeschwören willst.“
„Shar ist keine Himmelherrscherin.“, mischte Bayan sich ein.
„Shar? SHAR?!“ Moni konnte sich kaum noch einkriegen. „Shar ist eine stinkende Pervertierung des Gedanken des Göttlichen. Wir sprechen hier von echten Göttern, solche, die da oben in den Wolken thronen und weiße Bärte tragen...“
„Schon manch einer, der Shar lästerte, hätte kurz hernach mit seinem Bart höchstens noch die eigenen Eingeweide vom Boden aufwischen können.“
„Ach ja? Da bin ich aber mal gespannt, wie es soweit kommen konnte!“
„Wenn es dich tatsächlich interessiert, kann ich’s dir demonstrieren...“

Ich lag da und hörte mir's an. „Typisch“, dachte ich. „Sobald der Lotse das sinkende Schiff verläßt, gehen die Ratten sich gegenseitig an die Kehlen.“ Oder war es der Kapitän? Oder verließen nicht zuerst die Ratten und dann der Lotse und am Ende der Kapitän das Schiff? Mein Ableben hatte mich ein wenig verwirrt.

„Hört auf zu streiten!“, rief Sally. „Mein Geliebter lieg dort unter einem Monster begraben und ihr müßt hier schon wieder eure weltanschaulichen Debatten führen?! Wenn nicht mal wir in Zeiten der Krise zusammenhalten könnnen, wie soll da dann in der großen Politik Frieden einkehren?“
„G-g-ge-n-n-n-nau!“
„Muß die Schwuchtel jetzt auch noch ihren Kommentar abgeben?“, erkundigte Bayan sich.
„Besonders du bist gemeint, Drow!“, zischte ihn Sally an. „Wenn du deinen Esprit zur Abwechslung mal darauf verwenden könntest, konkrete Problemlösungsvorschläge zu machen, statt immer nur gegen die Schwachen herumzusticheln...“
Khalid wollte eine Einwendung machen, aber Jahreira legte ihm besänftigend die Hand auf seinen Schwertarm.
„Ich sehe das so“, sagte sie, „daß Moni im Prinzip Recht hat. Wir können Hank bis zum nächsten Tempel schleppen und dort wiederbeleben lassen. Zum Glück fehlen ihm ja keine wesentlichen Körperteile und er ist nur ein wenig .. ähm... eingedellt. Ein Problem, das ich allerdings sehe...“
„Ja?!“, fragte Sally besorgt.
„Nun – diese Wiederbelebungsprozeduren kosten ein Heidengeld. Ist ja klar: Moderne Gerätemedizin und so. Und Hank hat wohl kaum eine gültige Wiederbelebungsversicherungspolice abgeschlossen, oder? Es dürfte also teuer werden, ihn wieder auf die Beine zu stellen. Wie sollen wir das bezahlen?!“
„Im Angesicht des Todes denkst du an Geld?“ Sally war benommen von soviel Kaltherzigkeit.
Ich hätte gern zustimmend genickt. Yeah Baby, go for me!
“Wenn man es neutral betrachtet, dann geht es Hank tot besser als lebend.”, überlegte Jaheira laut. „Er stinkt weiter vor sich hin, aber er muß nicht mehr soviel saufen und daher hat er auch keinen Kater mehr. Zu was anderem als Trinken war er doch eh nie zu gebrauchen. Vielleicht tun wir ihm gar keinen Gefallen, wenn wir ihn wiedererwecken lassen? Wenn wir’s beim status quo beließen, würde uns das jedenfalls keine müde Mark kosten.“
„Manchmal haben auch weißhäutige Elfen ganz stimmige Ideen.“, meinte Bayan.
„Dich hat niemand gefragt!“, schnauzte Sally ihn an, „Halt doch endlich mal dein verdammtes Lästermaul! Neutral betrachten, neutral betrachten! Habt ihr sie noch alle? Das ist Hank, unser geliebter Anführer! Jawohl, grinst nicht so, vielleicht habt ihr ihn nicht geliebt, aber ich schon. Er ist unser Anführer, auch wenn er die meiste Zeit hinterhergezuckelt kam. Ohne ihn wäre unsere Party doch nie in die Gänge gekommen!“
„Da ist was dran.“, stimmte Babydoll Moni zu.
„Siehste!“, nahm Sally dankbar den Beistand an. „Also ich bin dafür, daß wir Hank in diesen Tempel schleppen und dort wiederbeleben lassen. Koste es, was es wolle!“
„Dann laßt uns neutral und demokratisch abstimmen!“, schlug Jaheira vor.
Alle waren einverstanden.
„Okay“, riß Bayan das Procedere an sich, „Wer ist dafür, daß wir Hank den weiten Weg bis nach Beregost schleppen, abwechselnd und obwohl er so fett und schwer und stinkend ist und obwohl seine Wiederbelebung uns finanziell total ruinieren wird? Der hebe jetzt bitte die Hand!“
Sallys Hand schoß empor. Auch Moni hob zögerlich die ihre.
„Gut!“, meinte Bayan. „Dann jetzt die Gegenprobe! Wer ist dagegen, daß wir uns mit dem Stinkstiefel abschleppen? Also ich auf jeden Fall!“ Er hob seine Hand.
Jaheiras Hand ging ebenfalls hoch, wenngleich mit weniger Verve. Oh Jaheira-Babe, daß unter Deinem enganliegenden Kettenhemd ein so kühles Herz schlagen könne, hätte ich nie angenommen...
„Also unentschieden.“, stellte Moni fest.
„Wieso unentschieden?!“ Bayan war perplex. „Was ist mit Khalid, wieso hat der nicht mit abgestimmt? Khalid ist Jaheiras Ehemann, daher zählt seine Stimme für die Nein-Fraktion. Also haben wir drei zu zwei gesiegt!“
„N-n-n-nein!“, protestierte Khalid, „I-i-i-ich e-e-enth-h-h-ha-halte m-m-m-mich lieber.“
„Wahlenthaltung gibt’s in solchen schwerwiegenden Fragen nicht.“, meinte Bayan.
„Warum nicht?“, wollte Moni wissen, „Wer bitteschön entscheidet das? Natürlich kann man sich der Stimme enthalten, wenn man sein Gewissen erforscht hat und zu keinem klaren Enschluß finden konnte!“
„Aber wie soll denn das nun fuktionieren?“, warf Jaheira ein, „Zwei zu zwei. Das ist eine Pattsituation. Khalid, ich will dich ja gar nicht beeinflussen, aber bist du dir deiner Enthaltung ganz sicher? Du machst uns damit sozusagen handlungsunfähig...“
Khalid nickte entschlossen.
„Ja – und nun?!“, wollte Moni wissen.
„Das Los muß entscheiden!“, meinte Bayan. „Ich habe hier in meiner Hand zwei Strohalme, einen hellen Langen und einen dunklen Kurzen. Hier, Jaheira, zieh einen! Wenn du den Kurzen ziehst, lassen wir Hank hier, wenn einen Langen, dann...“
„Hältst du uns für Trottel?“, kreischte Sally. „Deine Tricks sind derartig durchschaubar...! Nun gut, laßt das Los entscheiden. Aber auf eine faire Weise. Hier, Khalid, nimm diese Münze und wirf sie in die Luft! Wenn nachher die Zahl oben liegt, lassen wir Hank liegen, wenn der Kopf oben ist, nehmen wir ihn mit. Alle einverstanden?“ Sie blickte streitlustig in die Runde. Aber niemand hatte Einwände. Ich hätte mich gern geäußert, aber mich fragte keiner.
Khalid nahm die Münze und schnippte sie in die Luft. Plirrend fiel sie zu Boden und kullerte und kullerte und kullerte.... Und blieb endlich liegen. Auf dem Rand. AUF DEM RAND!!! Meine Mitstreiter guckten blöd. Auch die Münze konnte sich nicht entscheiden! Sie stand da, vibrierend, aber aufrecht, wenige Handbreit vor meiner Nase. Ich konnte dem eingeprägten Kopf sozusagen in die Augen schauen. Sie stand da und konnte sich nicht für eine Seite entscheiden. Auch der Münze war mein Schicksal völlig schnuppe. Es war so frustrierend! Selbst meinem toten Körper war das zuviel. Entmutig ließ er einen letzten gewaltigen Furz fahren. Das schreckte eine Fliege auf, die auf meinem Hinterteil herumgekrabbelt war. Sie surrte aufgeregt im Kreis herum und entschied sich dann für einen anderen Landeplatz: Die Münze. Ich konnte es vor mir sehen. Diese Fliege balancierte frivol auf der Münze herum, welche mein Leben bedeutete. Mit drei Beinen hielt sie sich an der Kopfseite fest, mit dreien an der Zahlseite. Immer noch unentschieden... Doch dann – dann fiel es ihr ein, sich zu kratzen. Sie nahm ein Hinterbein hoch, um sich damit unterm Flügel zu jucken. Es war das Bein auf meiner Seite. Die Zahlseite kriegte ein minimales Übergewicht. Die Münze kam ins Wanken. Die Fliege war irritiert. Sie wollte sich abstoßen. Doch zu spät! Krachend, in majestätischer Zeitlupe, fiel die Münze um.
Klimp...

***

Ich saß draussen auf einem Wollmantel, den ich über dem sommertrockenen Gras ausgebreitet hatte. Mit dem Rücken an die von der Sonne erwärmte Tempelmauer gelehnt , blinzelte ich in die ockerweißen Wolken empor. Daran mußte ich mich erst wieder gewöhnen: Sitzen, lehnen, blinzeln, atmen. Es fühlte sich gut an. Es war sagenhaft. Lebendig an einer warmen Tempelmauer sitzen. Es gab nix besseres! Naja... ein kühles Bier hätte die Sache vielleicht abgerundet.
Um die Ecke hörte ich Schritte, leichte, weibliche Schritte. Es war Sally. Sie kam rüber und setzte sich zu mir ins Gras. Sie legte ihre Hand in die meine. Gemeinsam blinzelten wir hoch zu den Wolken, deren Ockerweiß immer goldener wurde. Bald würde es dunkeln. Alles war gut.
„Du, Hank?“
„Yeah Baby?“
„Es ist schön, dich wieder am Leben zu sehen.“
„Keine Einwände meinerseits.“
„Es war ein ziemlicher Akt, dich hierher zu schleppen, weißt du?!“
„Hhmm...“
„Bayan und Jaheira, sie waren ja nicht ausgesprochen dafür, dich hier in den Tempel zu schaffen...“
„Nicht dafür, Baby? Die wollten mich den Raben zum Fraß überlassen.“
„Naja, aber sie haben schließlich den Losentscheid akzeptiert, das mußt du zugeben.“
„Hhmmm....“
„Und sie haben beim Tragen geholfen.“
„Hhmmm...“
„Ich meine – naja, man kann sie doch verstehen. Jaheira hatte ja auch recht, es war eine verdammt teure Angelegenheit, weißt du?“
„Baby, ich hab das Gefühl, als wolltest du mir was verklickern, und kämest nicht so recht raus mit der Sprache.“
„Naja, weißt du – es war teuer und so und wir mußten alle diese Schuldscheine unterschreiben beim Priester. Wo drin steht, daß wir, wenn wir das Gold nicht innerhalb eines Jahres mit den 37,5% Zinsen zurückzahlen, jeder drei Pfund Fleisch aus seinem eigenen Körper zu schneiden und damit zu zahlen haben.“
„37,5%? Das ist Wucher! Und warum gleich drei Pfund? Ich meine, ein Pfund hätte früher locker ausgereicht. Verdammte Inflation, die Preise fliegen über den Markt!“
„Hank, es geht darum, daß wir momentan keinen roten Heller mehr haben. Ob 37 oder 10 Prozent, das ist da relativ egal. Wir müssen Gold auftreiben und zwar schnell, so ein Jahr ist rum wie nix.“
„Wieviel?“
„Ich hab den Preis auf 3000 Goldstücke runterdrücken können.“
„Wie – runterdrücken...?“
„Naja, du weißt schon...“
„Baby, ich will nicht, daß du fremden Priestern deinen Prachthintern hinhältst, nur, um ein paar Prozente rauszuschlagen!“
„Was hätte ich ihm denn sonst hinhalten sollen? Meinst du, er hätte deinen Arsch akzeptiert? Mit all den Haaren dran?“
„Naja, ich weiß nicht. Das geht irgendwie gegen meine Ehre.“
„Gegen DEINE Ehre?!! Wenn ich meinen Podex... Und was ist mit meiner Ehre?“
„Für dich ist das ein normaler Job.“
„Hank, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee war, dich wiederzuerwecken.“
„Allright, entschuldige bitte! Aber was genau willst du jetzt von mir?“
„Wir müssen Gold auftreiben. Und das können wir nicht allein. Dazu brauchen wir die Hilfe von Freunden...“
„... solchen Freunden wie diesem blonden Nigger, oder was?!“
„In der Stunde der Not kann man sich seine Freunde nicht aussuchen.“
„Woher kommt nur mein Gefühl, als würdest du manche deiner Sätze aus irgendwelchen Groschenromanen borgen?“
„Hank, lenk nicht vom Thema ab!“
„Schon gut, schon gut. Brauchst dich nicht zu sorgen. Bayan ist ein Drecksloch, aber mit Dreckslöchern hab ich Erfahrung. Kein Problem.“
„Und was Jaheira angeht...“
„Die ist eine verfickte Kettenhemdschlampe, aber egal. Man kann nicht beides haben, solche phänomenalen Titten und Moral...“
„Hank!!!“
„Naja, Baby, Ausnahmen wie du bestätigen die Regel.“
„Findest du meine Titten wirklich phänomenal?“
„Das weißt du doch...“
„Beweise es mir!“
„Sally, deine Titten sind der Hammer. Ungelogen! Großes Trinkerehrenwort! Aber weißt du – naja, bis eben war ich noch tot. Ich bring’s momentan einfach nicht, dafür wirst du doch wohl Verständnis haben, oder? Ich meine – naja, warum gucken wir uns nicht einfach erst mal diesen verflucht schönen Sonnenuntergang an?! Wenn man eine Weile weg war vom Fenster, dann lernt man, auch an den kleinen Dingen Gefallen zu finden.“
„Hank, kann es sein, das mit deiner Potenz was nicht in Ordnung ist?“
„Du bist zu fleischlich fixiert, Sally. Potenz ist nicht alles...“
„Potenz ist alles! Potenz – potentia – die Möglichkeit, die Kraft, die Fähigkeit! Das ist alles! Was soll da sonst noch sein, wenn es nicht mal mehr die Kraft und die Möglichkeit gibt und all dieses Zeug?“
„Herrgottnochmal, ich bin ganz einfach müde, okay? Sowas schlaucht, diese Wiedererweckung und der ganze Kram. Das steckt man nicht einfach so weg! Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Klar, früher, da gab’s für mich gar keinen Kater, aber heute ist das anders...“
„Oh Mann, jetzt komm mir nicht wieder mit deinen Heldentaten von früher! Früher war Hank der Größte, früher hatte Hank den Längsten, Härtesten, Größten, früher war Hank der Hengst des ganzen Viertels, früher... Immer wenn du so redest, dann kommt es mir vor, als würde ich meinen Großvater hören. Zahnlos vorm Küchenofen sitzt er und nuschelt von seinen Kriegserlebnissen rum. Früher war früher. Jetzt ist jetzt. Also – was ist jetzt?“
„Ich hab Migräne...“
„Verflucht nochmal, was soll das jetzt? Ich habe dem Priester meinen Allerwertesten hingehalten – und jetzt soll das umsonst gewesen sein? Wozu haben wir dich denn wiedererwecken lassen, wenn du ihn jetzt nicht mal mehr hochkriegst? Kopfschmerzen! Daß ich nicht lache! Was ist los mit dir? Wechseljahre? Eisprung?“
„Sally, kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Du tust mir ja auch keinen!“
„Sally, laß es uns auf später verschieben. Morgen oder so. Wenn ich wieder etwas fitter bin. Jetzt bin ich nicht in Stimmung. Du hast phänomenale Möpse, da ist gar nix zu diskutieren, dazu steh ich, die Dinger sind unerreichbar, dagegen verblassen die von Jaheira wie ein Eis in der Sonne...“
Jaheira, Jaheira, Jaheira!!! Ich glaube, du hast die ganze Zeit nur dieses Flittchen im Kopf. Willst dir den Saft für sie aufsparen, wie?“
„Och Mönsch, Sally, nun sei doch mal entspannt! Du hattest sie doch ins Gespräch gebracht! Du wolltest doch, daß ich ihr verzeihe...“
„Naja, schon, aber...“
„Siehste! Komm, wir vertragen uns und gucken uns diesen Sonnenuntergang an.“
„Na gut.“
„Es ist ein unglaublich rotgoldener Sonnenuntergang.“
„Wenn du meinst...“
„Wie diese rote Kugel da majestätisch hinter den Gräsern wegsinkt!“
„Jaja...“
„Und hörst du? Die Vögel, sie verstummen. Die gehen alle pofen.“
„Hank?“
„Yeah, Baby?“
„Eis schmilzt in der Sonne, es verblaßt nicht.“
„Naja, dann schmilzt es eben.“
„Aber wie können Jaheiras Titten denn schmelzen?“
„Sowas nennt man poetische Freiheit.“
„Ach so.“
„Sally, du bist ein Schatz.“
„Hhmmm...“
Sie kuschelte sich an mich und während die Sonne sich verkrümelte, dämmerte auch meine Sally langsam weg. Bald schlief sie fest, ihren süßen Mund ein wenig geöffnet, und schnarchte ganz leise und fein. Passend zum Zirpen der Grillen. Es war eine sehr, sehr laue Nacht. Während die Dunkelheit schon länger hereingebrochen war, strahlte die Tempelmauer immer noch Wärme aus. Manchmal paßt alles zusammen. Manchmal gibt es goldene Stunden im Leben. Mit Frieden und Geborgenheit und all dem Zeug, was sonst noch dazugehört. Sternschnuppen am Firmament, der Gesang einer Nachtigall und ein runder, weicher Frauenarsch, an den man sich schmiegen kann. Es sind diese Momente, deretwegen sich das Leben lohnt. Man schwebt so in seiner Existenz, schwerelos, ohne Anstrengung, es ist alles gut in den goldenen Stunden.
Leider sind sie selten.

Ich wachte auf, weil Sally sich im Schlaf rumgedreht hatte. Dadurch rutschte ich zur Seite weg, mein Kopf schrappte an der Tempelmauer entlang, ich riß mir das halbe Ohr ab und landete mit der Schnauze im taunassen Gras. Sally schien irgendwas Komisches zu träumen, sie murmelte und wimmerte im Schlaf. Irgendwie hatte sie es geschafft, den Mantel, auf welchem wir gesessen hatten, um sich herumzuwickeln. So lag sie da friedlich, warm eingemümmelt, und redete in ihren kleinen Mädchenträumen. Ich saß mit einem vom Tau durchnäßten Hosenboden da, mein Ohr blutete vor sich hin und es war inzwischen saukalt. Wie spät mochte es sein? Ich guckte hoch zu den Sternen. Keine Ahnung, wie man von denen die Uhrzeit ablesen konnte. Ich wußte ja nicht mal, ob die sich nun rechts- oder linksrum drehten. Es war ganz einfach mitten in der Nacht, das mußte mir reichen. Ich stand auf, ging ein paar Meter in die Dunkelheit hinein und shiffte ins Gras. Und jetzt? Was lag an?

Vielleicht hatte der Priester von diesem komischen Tempel noch ein Zimmer mit Bett frei. Zumindest eine Mönchszelle oder etwas in der Art. Leider waren die Tempeltüren verschlossen, ich latschte einmal ums ganze Gebäude und da war nicht mal irgendwo ein Fenster offen. Na fein! Ich hörte ein klagendes Rufen.
„Hank? Hank, wo bist du?!“
„Hier, Baby.“
„Ach da...“ Sally schien von ihren Träumen geweckt worden zu sein. Sie kam rüber zu mir, ich erkannte ihre Silhouette im Mondlicht. Sie schleifte etwas hinter sich her. Den Wollmantel. So konnte er sich schön mit dem kalten Tau vollsaugen.
„Hör mal Hank, ich glaube, ich hab eben ein komisches Heulen gehört, du nicht auch?“
„Ich dachte, das wärest du gewesen.“
„Nö, ich heule doch nicht. Für mich hörte sich das wie das Heulen eines Hundes an. Oder eines Wolfes oder so.“
„Mensch, jetzt hör auf, einem alten Mann Angst einzujagen! Erzähl lieber mal, wo die anderen abgeblieben sind.“
„Siehste, das wollte ich dir ja vorhin schon erzählen: Die sind in das Nachbardorf gegangen, um sich mal etwas umzuschauen.“
„Das ist jetzt aber schon ne Weile her, oder?“
„Naja...“
„Was machen wir jetzt? Ich friere mir hier so langsam den Arsch ab.“
„Wie wäre es mit einem romantischen Mondspaziergang?“
Frauen, die in fünfeckigen Räumen zu hausen pflegen, haben manchmal so abgedrehte Ideen. Romantischer Mondspaziergang! Ich rüttelte lieber etwas an den Fensterverschlägen des Tempels. Erfolglos. Schon wieder heulte es in der Nähe. Verdammt nah in der Nähe. Hinter uns, im Dunkeln. Ich drehte mich zu dem Heulen um. Da war nichts, nur Finsternis, aufgelockert von ein paar Schatten. Doch, da war noch was. Ein Schnüffeln.
„Sally, hast du eben geschnüffelt?“
„Das gleiche wollte ich eigentlich dich fragen, Hank!“
Etwas raschelte da im Dunkeln. Und tapste. Und schnüffelte. Und leuchtete. Leuchtete? Ja, doch, da waren einige fahlgelbe Lichtpunkte in der Dunkelheit. Zwei. Vier. Acht...
„Sally, weißt du, was eine Räuberleiter ist?“
„Zeig es mir bitte ganz, ganz schnell! ...“
Ich zeigte es ihr. Sie lernte rasch. Der Tempel hatte ein Flachdach. Ich wuchtete meine neunzig Kilo da hoch. Sie warf mir den nassen Mantel hinterher. Ich hielt ihn von oben so runter, daß sie sich daran emporziehen konnte. Es krachte verdächtig in den Nähten, aber er hielt. Er hätte auch nicht reißen dürfen. Denn noch im letzten Moment blitzten im Mondlicht plötzlich eine Reihe langer, spitzer, weißer Zähne auf und schnappten nach Sallys linkem Fuß, den sie zu spät hochzog.
„AAAAARRRRGHHH!!“, schrie sie, „Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt...“
„Baby, was ist?! Oh mein Gott, zeig her, wir können die Blutung vielleicht irgendwie stoppen...“
„Welche Blutung, zum Henker? Argh, dieses Mistvieh, dieses zottelige Monster, dieser stinkende Sohn einer Hündin! Hier, siehst du, Hank? Hier, schau, was er mir angetan hat!“
Ich schaute mir ihren Fuß an. Er war hübsch, dieser Fuß, schlank an der Fessel, weich und bleich schimmernd im Mondlicht. Ich konnte keinen Kratzer entdecken.
„Baby, ich kann keinen Kratzer entdecken!“
„Ja, Herrimhimmel, und warum wohl? Weil er weg ist!“
„Sally, da ist noch alles, wie es sein sollte, da fehlt nichts!“
„TYPISCH MANN!!!“
Und dan sah ich es. An ihrem rechten Fuß. Einen Schuh. Einen hübschen blauen Schuh aus Kalbsleder. So mit recht hohem Absatz dran. Passend zu ihrem Kleid. Freilich, eine Katastrophe. Nicht nur, daß dort unten, kaum drei Meter tief, sich eine Vollversammlung sämtlicher Wölfe der Schwertküste eingefunden hatte, die beratschlagten, mit welcher Soße sie uns verspeisen sollten – nein, Sally hatte auch noch ihren Lieblingsschuh eingebüßt, den ihr mal einer ihrer Freier aus den guten alten Kerzenburgzeiten geschenkt hatte. DAS waren echte Probleme.

Ich wrang den Mantel aus, setzte mich drauf, popelte in der Nase und versuchte, die Ergebnisse dieser Bohrübungen in eines der gelben Augen zu schnippen, die drunten gierig emporstarrten und über das System der Räuberleiter sinnierten. Sally schimpfte und kreischte noch ein Weilchen, dann setzte sie sich neben mich. Es war kalt. Wir warteten.