Dienstag, März 18, 2014






Die Ankunft

Nimm dir einen beliebigen Gegenstand und laß ihn fallen. Wo landet er? Genau, du Schlauberger, unten. Und so kam auch ich da an, wo eigentlich die meisten meiner Wege enden. In einer Bar.

Ich zog den Bauch ein, drückte die Brust raus und bewegte mich mit der Geschmeidigkeit eines rachitischen Seesterns Richtung Theke, an der noch zwei, drei Verlierer meiner Kragenweite rumhingen. Unterwegs wurde ich von der Erkenntnis überrascht, plötzlich wieder bekleidet zu sein. Ich hatte ja schon befürchtet, mir wie der Terminator von irgendwelchen Rockern ne Kutte borgen zu müssen. Da hatte der große Regisseur wohl Erbarmen gehabt oder nur keine Lust, sich von Cameron irgendwelche Tricks abzugucken. Noch nie war ich über meine vergammelten Shorts und das uralte Shirt so froh gewesen wie jetzt. Hey Hose, hallo Hemd, viel zu lange nicht mehr gesehen, wie geht‘s, hab euch vermißt! Zusammen mit den beiden kehrte auch mein alter Mumm zurück. Ich war voll in meinem Element. Das hier war eine Kneipe, ich war Hank Chinasky. Das Wasser und sein Fisch.

Der fettfingrige Kerl, der am Zapfhahn stand, sah aus, als wär er schon vor der Empfängnis für diesen Job konzipiert worden. Ihr wißt schon, er hatte diesen speziellen Barmixer-Blick drauf, der einem auf zehn Meter ansieht, welche Biersorte man bevorzugt. Er begrüßte mich.
Hi, deine Visage kenn ich noch nicht. Zum ersten Mal dabei?“
Yep.“
Kann noch ne Weile dauern, bis ihr eine komplette Party zusammen kriegt, um die Zeit geht kaum jemand online. Willst du‘n Drink, während du wartest?“
Kann nicht schaden. Hab aber leider keinen Penny bei mir.“
Das is schlecht.“
Yeah.“
Ich würd dir ja gerne anschreiben, bin schließlich kein Misantropf oder wie die Dinger heißen. Aber weißt du, na ja... - bist zum ersten Mal hier, und der Boss von dem Laden hier sieht das nicht so gern, falls du verstehst, was ich meine. Ich sag mal, wenn der jetzt reinkommt und merkt, daß ich dir eins ausgebe, dann kriegt der nen Anfall. Der setzt mich sofort wieder auf die Straße, und das wär echt mies, verstehste? Ich brauch den Job hier. Hab ne Frau und drei Kinder und die Hypotheken auf das Reihenhaus sind noch nicht abgestottert.“
Sapperlot, Alter, gleich drei Kids?“
Jau, drei von der Sorte. Ein Junge und zwei Mädchen. Aber hey, umgekehrt wär‘s mir nicht lieber gewesen.“
Kann ich gut nachvollziehen.“ Ich nickte verständnisvoll.
Weißt du, wenn ich die drei Blagen nicht hätte und meine Alte, und das Reihenhaus und den Kombi auf Anzahlung und die Risikolebensversicherung und diese ganzen Verpflichtungen, dann wär mir egal, was der Boß sagt. Dann würd’ ich dir hier einen einschenken, und nicht zu knapp. Schließlich sieht man dir an, du bist einer, der seine Trinkschulden begleicht. Ja, nee, nee, ich kenn mich da ein bißchen aus, ich weiß, wem man trauen kann, Kumpel, und bei dir bin ich mir da hundertprozentig sicher. HUNDERTPROZENTIG! Aber wie gesagt…“
„… der Typ, dem der Laden gehört, ist dagegen.“
Du sagst es. Ich meine, wenn du Stammgast oder so wärst, dann sähe die Sache anders aus, Stammgäste können hier ohne Probleme anschreiben lassen. Aber ich kenn dich schließlich nicht, oder?“
Da is was dran.“
Ja, nix zu ändern.“
Hhm.“
Sag mal, wie heißt du überhaupt?“
Hank.“
Hank. Und weiter?“
Hank Chinasky.“
Ich heiße eigentlich Thomas Winston Harry Porter, aber alle nenen mich nur Winthrop. Hank, ich bin erfreut, dich kennen zu lernen. Hier meine Hand!“
Ich seh aber kein Bier in dieser Hand.“
Oh Hanky-Boy, komm schon! Sagte doch, mein Chef, der ist echt kleinlich in solchen Sachen.!“
Der Typ tat mir leid. Er war’n armseliges, kleines Arschloch, und das Traurige daran war, daß er’s gar nicht realisierte. Ich gab ihm also die Hand.
Okay Winthrop, nett dich kennenzulernen. Wo kann man hier shiffen?“
Winthrop deutete nach links.
Einfach dem Geruch nach. Kannst es gar nicht verfehlen. Und wundere Dich nicht über Babydoll Moni, die hat zwar nen Hau, tut aber keinem was.“
Babydoll wer?!“
Wirst sie schon nicht verpassen…“

Babydoll Moni war ein abgebrochener Typ, der vorne bei den Waschbecken in der Pißabteilung abhing und gerade dabei war, sich vor dem Spiegel Lippenstift in den Bart zu schmieren.
Während ich meine ein, zwei Liter abstellte, quatschte er mich von der Seite an.
Hallo schöner Abenteurer, ich bin Moni. Wie isses, machen wir zusammen ne Party auf?“
Winthrop lag ganz richtig, Moni hatte garantiert ne weiche Birne. In meinem Leben war ich noch nie schön genannt worden, und das hatte seine Gründe.
Ich bin grad nicht so in Feierstimmung, Babydoll. Vielleicht ein andermal.“
O, Jesses, Maria und dreimal gequirlte Orkkacke!“, quakte er. „Nie will einer mit mir losziehen, nur weil ich ne Frau bin!“
Nimms nicht so tragisch, Babydoll, es wird schon noch der Richtige für dich vorbeikommen.“
Den Spruch kenn ich schon, du hälst dich wohl für originell, was? Es wird nie der Richtige vorbeikommen! Seit ich hier bin, ist noch nie ein Zwergenkerl durch diese Tür gekommen, noch nie! Ich glaub fast, Zwerge gehen überhaupt nicht online.“
Da kenn ich mich nicht so mit aus.“
Ich schon, glaub mir. Was ist – nimmst du mich mit, wenn ich dich mal an meine Titten ranlasse?“
Hör mal, Moni, das ist‘n nettes Angebot, aber ich bin heute nicht so in Stimmung, weißte?“
Oder ich blas dir einen, da bin ich große Spitze drin!“
Nee laß mal, ich muß rüber, mein Bier wird sonst kalt.“
Ach verdammt!“

Zurück an der Theke fragte ich Winthrop:
Hör mal, seit wann bildet sich dieser Moni denn ein, er sei ne Ische?“
Die bildet sich das nicht ein, die ist eine.“
Paß auf Winthrop, mir kannst du keinen Bären aufbinden! Ich hab hier noch nix zu trinken gekriegt, bin also vollkommen klar im Kopf, und in dem wiederum habe ich Augen. Ich weiß, was ich auf‘m Klo gesehen habe. Das war’n Einsfuffzichtyp mit ’nem Bart, der ihm bis zum Bauchnabel reichte. Da langt dann ein bißchen Lippenstift nicht als Verkleidung.“
Winthrop grinste.
Man merkt, daß du zum ersten Mal hier bist. Zwergenfrauen haben genauso wie Zwergenmänner Bärte. Hättest sie mal etwas genauer checken sollen.“

Ich zurück zur Pinkelabteilung.
Moni, schätze, ich sollte mir doch mal deine Möpse angucken.“
Nimmst du mich dann mit in deiner Party?“
Hhmm -.“
Na gut.“
Der Typ fummelte unter seinem Bart an der Jacke rum, dann kämmte er seine Barthaare zur Seite, und was da zum Vorschein kam – naja, keine Frage, das waren definitiv Titten. Zwar nicht preisverdächtig, sondern ziemlich faltig, ledrig und eher inSpritztüten- als in Apfelform. Aber Mutter Natur ist eben nicht immer in Topform.
Du bist wirklich ne Frau?“, wollte ich wissen.
Hat wer was anderes behauptet?“
Nö.“
Und, was nun?“
Ich finde, man soll mitnehmen, was man kriegt.
Ich hab‘s mir überlegt, wenn du mir einen bläst, dann äh – dann machen wir zusammen eine Fete.“
Ich hab keine Lust auf Feten. Ich will in eine Party.“
Ist doch das gleiche, oder?“
Nicht, daß ich wüßte.“
Für mich schon.“
Versprochen? Du nimmst mich mit in deiner Party?!“
Jaja, klar, kein Problem, Party, Fete, was immer du willst.“
Okay. Wir sind im Geschäft.“
Babydoll Moni langte sich meinen Truthahnhals raus, und er verschwand in diesem Dickicht von Bart. Sie brauchte sich kaum runterzubeugen, und zugegebenermaßen machte sie es gar nicht schlecht. Kannte sich aus, hatte diese spezielle Technik, wußte, worauf es ankam.
Hey, Babe, du hast das richtig drauf!“
Zweihundert Jahre Übung, das zahlt sich aus...“
Nachdem ich gekommen war, wischte sie sich den Glibber mit einem Papierhandtuch aus dem Bart. Irgendwie kam mir das fehl am Platz vor. Das Papierhandtuch, meine ich. Moni taxierte mich.
Du hattest es aber ganz schön nötig, was?“
Solche Portionen sind bei mir normal.“
Okay, aber denk an deinen Teil der Abmachung. Wenn ihr loszieht, bin ich mit dabei.“
Klar doch.“
Gibst du mir dein Ehrenwort?“
Was immer du willst, Moni-Babe.“

Zurück an der Theke bemerkte ich, daß inzwischen noch ein paar andere Typen in die Bar gekommen waren. Zwei hippiemäßige Knäblein, noch gar nicht richtig trocken hinter den ziemlich spitzen Ohren, sowie ein Schwarzer mit wasserstoffblonden Haaren und absolut coolem Outfit. Er stand allein an einen Holzpfosten gelehnt, und mir schien es so, als wenn ihn keiner im Raum ausstehen konnte. Winthrop, der den schwuchteligen Jungs gerade irgendwelche bonbonfarbenen Coktails rüberreichte, drehte ihm absichtlich den Rücken zu. Nur, um ihn nicht bedienen zu müssen.
Außenseiter sind mir immer sympathisch, also ging ich zu dem Typen rüber.
Hallo Kollege, was geht so ab?“
Mein Name ist Bayan da‘i Baiornne, Mitglied des vergessenen achten Hauses von Tayonerranzan. Sucht Ihr vielleicht noch Männer für Eure Gruppe, Fremder?“
Ah – ja. Also...hhmm. Kannst mich Hank nennen. Wie kommste darauf, daß ich zu irgendwelchen Männergruppen gehe?“
Eurem Sinn für Humor kann ich leider nicht folgen, Oberflächenbewohner. Solltet Ihr es Euch indes anders überlegen, so wisset, daß ich der beste Bogenschütze der Drow bin und mein Bogen Snorpaenre, der Bote der Stille, ist gefürchtet von Tiefwasser bis Calimhafen. Wenn Ihr zu Eurer Fahrt aufbrecht, so wisset, ich bin bereit, auf Eurem Wege für eine Weile zu wandeln.“
Hhm. Scheinst ein echt harter Brocken zu sein. Aber die Jungs da drüben machen den Eindruck, als könnten sie dich nicht ausstehen. Warum?“
Die Waldelfen aus dem Süden verabscheuen uns Drow. Sie sehen nur meine Hautfarbe.“
Tja, diese Rassisten, nicht auszurotten. Gandhi, Martin Luther King oder Malcom X, alles für die Katz. Die Südstaatler werden‘s nie kapieren. Aber der Typ an der Theke muß dich bedienen, das steht so im Gesetz. Wenn du willst und ein paar Mäuse rausrückst, besorg ich uns ein Bier.“
Er langte in eine Tasche seines abgefahrenen Mantels und drückte mir eine einzige Münze in die Hand. Eine Münze nur, aber ich brauchte nicht erst drauf zu beißen, um zu wissen, daß es sich dabei um Gold handelte. Mal was anderes. Na, ich war gespannt, wie Winthrop mir da Wechselgeld rausgeben würde.
Gekonnt ließ ich die Münze so hochschnippen, daß sie sich’n paarmal drehte und fing sie wieder auf. Hier kam Chinasky, um ein Bier zu bestellen und war definitiv locker in den Knien. Plirrrrring! Ich schnippte Winthrop die Goldmünze rüber.
Hey, Kumpel, mach mir doch bitte mal zwei kühle Weizen klar, eins für mich, und eins für meinen Kollegen da drüben, ja?!“
Winthrop blitzte mich aus plötzlich zusammengekniffenen Augen an.
Meinst du mit Kollege diesen Schwarzwichser da hinten? Drow werden hier nicht bedient.“
Was ist das denn bitteschön für eine Rassistenkacke? Schon mal was von Gleichberechtigung gehört? Von Bürgerrechten, von Minderheitenschutz, davon, daß Diskriminierung als Straftatbestand zu werten ist?“
Schon gut, immer locker bleiben! Komm mir nicht mit Bürgerrechten, Grundgesetz und Uno-Charta, ja? Wir sind hier im Cyberspace, da gibt‘s das alles nicht. Hier gelten andere Gesetzte, und eins davon lautet: Laß dich nicht mit den Drow ein.“
Du brauchst dich auch nicht mit ihnen einzulassen. Gib mir einfach zwei Bier und das Wechselgeld raus, der Rest geht dich überhaupt nix an, right?!“
Na gut, ich hab dich jedenfalls gewarnt. Hier sind deine zwei Bier, und hier ist der Rest.“
Er schob mir zwei Maßkrüge rüber, die allerdings etwas sparsam gezapft waren, und ließ eine Hand voll Kleingeld hinterherrutschen. Ich steckte das Geld in die Shorts, griff mir die Gläser und wollte zurück zu dem blonden Nigger.
Eine Rothaarige, die ich vorher noch nicht gesehen hatte, trat mir dazwischen.
Hi Süßer, ich bin die Sally, spendierste mir nen Drink?“
Sah gar nicht wie ne billige Nutte aus. Was für eine Stimme! Was für ein Duft! Was für eine umwerfende... Und ich hatte meinen Saft bei Moni vergeudet! Es ist doch immer so, nicht wahr?! Jahrelang herrscht Dürre, man fragt sich schon, ob man ihn überhaupt noch hochkriegen würde für den Fall, daß. Und dann plötzlich – pladder, pladder! – schüttet es wie aus Eimern, um im Bild zu bleiben. Frauen, wohin du guckst. Das Ganze nennt sich dann Ironie des Schicksals, aber es sind die Götter, die sich zynisch einen drauf abwedeln, wenn sie sich solche „Zufälle“ ausdenken. Na, diese Braut schien ohnehin eine Liga höher als ich zu spielen, mit ihren Designer-Beinen und so.
Sorry Baby, aber ich muß da rüber zu einer geschäftlichen Besprechung. Keine Zeit, mich zu amüsieren. Ein andermal vielleicht.“
Wenn du mir einen ausgibst, geh ich mit deiner Party mit.“
So langsam dämmerte es mir, daß man hier eine leicht modifizierte Sprache benutzte. Alle Welt erzählte einem was von Partys, mit denen man gehen könne, statt auf sie oder zu ihnen zu gehen. Da mußte etwas Wichtiges dahinterstecken, wenn alle nicht anderes im Kopf hatten. Leider kriegte ich von solchen komplizierten Reflexionen immer Sodbrennen. Warum nachdenken, wenn man sich etwas einfach erklären lassen kann?
Sag mal, Sally-Babe… Alle hier erzählen mir was von Partys und so. Ich raff das nicht so richtig. Was genau versteht ihr hier unter ‚Party‘?“
Na das übliche eben, was soll die Frage denn nu?“
Schon klar, das übliche. Aber ich bin neu hier, hab den lokalen Slang noch nicht so drauf, verstehste? Erklär doch einem armen, alten Fahrensmann mal, was ihr hier unter Party so versteht.“
Naja, eine Gruppe eben, mit der man durch die Gegend zieht. Is doch logisch, oder?“
Yeah, das macht Sinn. Und warum sprecht ihr dann nicht von Gruppen, sondern von Partys?“
Weil das so im Handbuch steht, klar?!“
Ah - ja, das is‘n Argument.“
Ich wollte sie stehen lassen, um zu meinem edlen Spender zu gelangen, aber sie hielt mich am Arm fest: „Was is nun, willst du mich in der Party haben oder nicht?“
Nö, danke, ich habe nicht vor, durch die Gegend zu ziehen.“
Wirst du aber müssen.“
Hä? Wieso müssen? Wir leben in einem freien Land ohne Sperrstunde, da kann mich keiner zu irgendwas zwingen.“
Na, dann erklär mal Deinem Drow-Liebling, wieso du kein Wechselgeld mitbringst…“, grinste sie mich an.
Und weg war sie.
Zusammen mit meiner guten Laune, denn als ich reflexhaft in die Taschen meiner Bux griff, waren da nur noch ein paar Cracker-Krümel vom letzten Abendbrot übrig. Diese miese kleine Schlampe! Und was meine Reflexe anging... Ich hatte mit beiden Händen gleichzeitig in die Hosentaschen gegriffen und die Bierhumpen vorher abgestellt. Auf solider Luft – wo sie sich nicht allzulange festkrallten, sondern schwungvoll ihren Inhalt auf den Boden und die Füße einiger Umstehender enleerten, um dann fröhlich durch die Gegend zu kullern. Kam sehr gut an, diese Performance. Die Südstaaten-Milchbubis, die ein paar Spritzer abgekriegt hatten, kniffen ihre Augen zusammen und machten einen Gesichtsausdruck Marke Bestattungsunternehmen. Ein bulliger Typ mit rasierter Glatze, der von irgendwoher aufgetaucht war, manipulierte an seinen nietenbesetzten Armbändern rum und ich konnte mir eben diese Nieten – lange, spitze Dinger, mehr Stacheln als Nieten – schon lebhaft in den Zwischenräumen meiner eh schimmeligen Zähne vorstellen. Am meisten Sorgen bereitete mir im Moment aber der blonde Freak, der einfach zu relaxed an seinem Holzpfosten lehnte, die Arme verschränkt, und mit seinen violetten Guckern zu mir rüberlinste. Ich kannte diese Positur genau, die hatte ich schon dutzende Male gesehen, bevor man mir ne Abreibung verpaßte. Es war diese Was-soll-ich-mich-da-groß-erregen-ich-krieg-deinen-Schwanz-auf-jeden-Fall-zu-fassen-Geste, es war diese Lässigkeit, die ihn vor den anderen Amateuren als Profi auszeichnete. Als der Glatzkopf und die Milchbubis Anstalten machten, ohne weiteren Kommentar auf mich loszumarschieren, piff der blonde Blacky kurz, wie wenn er einen Hund zu sich rufen wollte, und machte eine kurze Bewegung mit zwei Fingern, die die Lyncharmee mitten in der Bewegung stoppte.
Dieser Mann gehört Bayan da‘i Baiornne!“, sagte er leise, so zwischen den Zähnen hindurch.
Die Milchbubis und der Glatzkopf guckten sich reihum an. Als sie sahen, daß sie strategisch in der Unterzahl waren, gaben sie’s auf und drehten sich zu ihren Getränken um. Niemand hier schien Drow zu mögen, aber anlegen mußte man sich nicht gleich mit ihnen.
Ich schätzte den Weg bis zum Ausgang ab, kam jedoch zu dem Schluß, daß ich dafür auf jeden Fall länger brauchen würde als das Wurfmesser, das in Bayans Hand gerade so herumschaukelte. Also ging ich lieber hin, um ihm die Sache zu erklären.
Hör mal, Kumpel, da hat mich gerade so’ne Rotblonde abgezockt, hast Du das gesehen?“
Ich warte auf mein Bier und das Wechselgeld, Oberflächenbewohner. Und Bayan da‘i Baiornne ist es nicht gewohnt, lang zu warten auf das, was ihm zusteht.“
Yeah, ich weiß. Hör mal Bruder, da stehen wir tatsächlich vor einem Problem...“
Das Problem scheint Ihr zu sein, Bleichgesicht. Wir Drow haben für Probleme eine sehr einfache und effiziente Lösung.“
Okay, okay, Chef, gib mir fünf Minuten. Ich brauch nur nen Moment, um mir dieses Flittchen zu schnappen, eine Sekunde, bin gleich wieder da!“
Bayan da‘i Baiornne wird Euch finden, wenn Ihr versucht, hier einen Abgang zu machen, Veruntreuer des Wechselgeldes! Niemand betrügt einen Sproß des achten Hauses! Auch wenn es inzwischen vergessen ist...”

Wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann ist das Ärger. Da gewöhnt man sich nie so richtig dran, selbst wenn man dauernd welchen hat. Ärger mit Frauen topt den normalen Ärger sogar noch, und Ärger mit unbekannten Rotblonden ist am schlimmsten, dagegen ist Krätze der reinste Grund zum Feiern. Nun gut – lief ich halt mal wieder ner Frau hinterher. Bloß – wohin? Ich wandte mich an die Auskunft.

Sag mal, Winthrop, alter Knabe, hast du vielleicht mitgekriegt, wohin sich dieses süße Sahnestückchen Sally verkrümelt hat?“
Frag doch deinen neuen Kumpel mit dem Tintengesicht, vielleicht kann der dir weiterhelfen. Wozu hat man Freunde?!“
Danke, Bruder, Typen wie du geben einem das Gefühl geliebt zu werden. Hör mal, der Kerl massakriert mich, wenn ich ihm sein Geld nicht zurückbringe!“
Tja!“ Winthrop griente. „Wer sich zu Hunden bettet, darf über Flöhe nicht klagen!“
Danke Bausparfuzzi, du mich auch!“

Hinten in der Urinalabteilung hing Babydoll Moni immer noch vor’m Spiegel.
Hör mal, Moni...“
Geht’s los ? Machen wir uns mit der Party auf’n Weg ?!“
Naja, nen Moment brauch ich noch, ich sag dir rechtzeitig Bescheid okay? Ne andere Frage – kennst du eventuell die Sally, so’ne rotblonde...“ Falsche Frage.
ICH FASS MICH AN DEN KOPF! Ihr Macker seid doch alle gleich! Was wollt ihr nur alle von dieser eingebildeten Schnepfe, ich krieg das überhaupt nicht auf die Reihe!! Diese blöde Tusse, diese Zimtzicke! Eine Nase, daß es reinregnet, so hoch in der Luft, Bussi hier, Bussi da, tüdelüt, tirili! Hach, ich bin die geile Sally, na Süßer, haste schon einen hoch? Hier guck mal, meine Beine, hier mein Popöchen, hach, binnich nicht eine ganz Schnuckelige...“
Moni, ich unterbreche dich ja nur ungern in deiner Karaoke-Vorstellung, aber diese Sally hat mich beklaut und ich hätte gern das Geld zurück, verstehste? Nix mit tüdelüt! Die kriegt ein paar gescheuert! Wenn ich den Kies nicht wiederkriege, dann hängt mir wirklich die Kacke am Stecken und aus unserer Party wird unter Garantie nichts. Also, Babydoll, sei mal ein wenig kooperativ, ja?“
Moni guckte mich skeptisch an.
Du willst sie gar nicht pimpern?“
Großes Indianerhäuptlingsehrenwort!“ Ich kreuzte hinter dem Rücken die Finger.
Du willst diesem Prinzesschen die Visage polieren?“
Wenn sie mir meinen Kies nicht pronto zurückübereignet, dann setzt’s was!“
Okay, das is’n Wort! Ich bin auf deiner Seite. Sally hat gleich nebenan in dem Haus oben ein Zimmer. Da kommste allerdings nicht auf die normale Tour rein. Man muß hier vom ersten Stock raus aufs Dach klettern und dann drüben an der Regenrinne rauf. Das Süßstoff-Mädel hat so’nen Spleen, hält sich für die Königin der Edeldiebe und benutzt grundsätzlich keine Türen, wenn’s auch durchs Fenster geht.“

Im ersten Stock war niemand zu sehen. Ich lugte in eins der Zimmer. Dann in ein zweites. Da schlief ein abgebrochener Bärtiger und sägte, daß die Wände zitterten. Sah aus wie eine Schwester von Moni. Das dritte Zimmer hatte kein Fenster nach draußen. Das vierte Zimmer schon. Aber da drin tigerte auch ein nach teurem Deo duftender Schnösel rum.
Können Sie nicht anklopfen? Was ham Sie hier überhaupt zu suchen? Wenn Sie nicht sofort draußen sind, ruf ich die Wache!“

Ich war sofort draußen. Fünftes Zimmer. Wieder kein Fenster. Dafür stand da eine altmodische Kommode, Kirschholzfunier, Metallbeschläge, Intarsien aus Elfenbein und Ebenholz. Das volle Antiquitätenprogramm. Kein Mensch war auf dem Gang zu sehen. Ich zog am Knauf einer Schublade. Nicht abgeschlossen. Reingucken kostet ja nix. Drinnen lag eine Literflasche mit einem alten Etikett. Schien was ganz Edles zu sein, Cognac vielleicht oder was in der Richtung. Gewohnheitsmäßig steckte ich mir die Flasche ein. Daneben lag ein kleiner Beutel, der oben mit so einem Zugband verschlossen war. Ich prokelte ihn auf. Drinnen in dem Beutel – waren bestimmt zwanzig Goldstücke! GOLDSTÜCKE!!! Die... – die mußte da jemand für mich reingelegt haben. Rockefeller. Rothschild. Onassis. Der Weihnachtsmann. Gott. Da brauchte ich ja gar nicht mehr der hübschen Sally hinterherzuturnen, da hatte ich ja genug Zaster, um...
He da! Bleibe er stehen auf der Stelle!“
Ich weiß wirklich nicht, wo die hergekommen waren, und hätte schwören können, kein noch so winziges Geräusch auf der Treppe oder draußen auf dem Flur gehört zu haben. Sie standen plötzlich neben mir, zwei Kerle, in voller Kampfmontur, Kreuzungen aus Arnold Schwarzenegger und Michael Jordan. Sie versperrten mit ihren breiten Schultern den Weg nach draußen und daher dachte ich, ich sollte mir vielleicht mal anhören, was sie so zu sagen hätten.
Wir sind die Mitglieder der Kerzenburg-Wache, und Ihr, Fremdling, seid des gemeinen Diebstahls angeklagt und überführt! Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung vorzubringen?!“
Die Tür stand offen.“
Ausrede abgelehnt. Ihr könnt wählen: Kopf ab oder her mit allem Geld, welches Ihr bei Euch führt!“
Ich führe, eigentlich und genau genommen, überhaupt kein Geld bei mir.“ Ich hob das Goldsäckchen hoch. „Außer dem hier, aber das lag ja dort in der Schublade, dahinein wollte ich’s auch grad wieder legen.“
Versucht nicht, uns zu täuschen! Ihr habt dreißig Goldstücke in Eurem Inventar, die sind hiermit konfisziert!“
Hä?! Inventar? Wovon redet ihr?!“
Von Eurem Inventar eben.“ Der Wortführer der beiden Wächter schien etwas durcheinander. „In Eurem Inventar wurden dreißig Goldstücke gefunden, welche hiermit beschlagnahmt werden. Jetzt habt Ihr nur noch die Stabschleuder im Inventar.“
Ich versteh nur noch Bahnhof. Was und wo ist denn dieses Inventar?“
Na, Euer Inventar eben! Und es ist dort, wo Ihr es abgelegt habt, vorn am Eingang in die Wirtsräume. Sieht aus wie ein Rucksack...“
Rucksack? Ich hab keinen Rucksack.“
Jeder hier hat einen Rucksack, klar?!“ Der Typ schien langsam ärgerlich zu werden.
Und in diesem meinem Rucksack habe ich dreißig Goldstücke?!“
Hattet. Ihr hattet dreißig Goldstücke. Die gingen eben ins Eigentum des Staates über.“
Ihr seid ja ganz miese Halsabschneider!“
Wenn Ihr wünscht, könnt Ihr auch das haben.“
Neenee, schon gut, immer locker in den Knien bleiben, okay? Das überdenke ich mir lieber nochmal ausführlich.“
Nun gut, wie Ihr wünscht.“ Der andere Wächter schien irgendwie unschlüssig. „Naja – äh – wir gehn dann wieder, okay?“
Nur zu, damit hab ich keine Probleme.“
Wunderbar. Also tschüß dann, ja?! Und möge Helm mit Euch sein.“
Und mit Euch die Cholera!“
Sie waren schon aus dem Zimmer raus, da ging die Tür auf und der kleinere von den beiden, also der unter zwei Meter und zehn, steckte seinen Kopf nochmal rein: „Ach übrigens, nur zur Information: Euer Ruf ist um zwei Punkte auf sechs gesunken. Ihr seid nun unbeliebt.“
Damit beruhigte er mich. Wenigstens in dieser Hinsicht schien alles normal und wie immer.

Das sechste Zimmer endlich war frei und hatte ein Fenster hinaus auf’s Dach. Ich guckte raus. Das Dach war eher so eine Art schmaler Sims, über den man nach rechts rüber auf den entsprechenden Sims des Nachbarhauses gelangen konnte. Wo da eine Dachrinne sein sollte, konnte ich von hier aus nicht erkennen. Es wurde langsam dunkel draußen, und meine Augen hatten wohl die Jahre über auch etwas gelitten unter den Alkoholexzessen und üblen Schlägereien in spärlich beleuchteten Bars. Nur ein Verrückter konnte da rausklettern, auf dieses Frühstücksbrettchen von einem Sims, um sich dann rüberzutasten und nach brüchigen Dachrinnen zu grapschen. Nur ein Spinner, ein Wahnsinniger, ein lebensmüder Volltrottel. Ich drückte die Läden auf und schwang mein linkes Bein auf die Fensterbank. Dann zog ich das rechte nach und und ließ das linke vorsichtig draußen nach dem Dach tasten. Das Dach lag tiefer als der Boden drinnen, ich konnte es nur grad so mit den Zehenspitzen spüren. Trotzdem versuchte ich mein Gewicht darauf zu verlagern, mich aber gleichzeitig an den Fensterläden festzuhalten. Mein Arsch rutschte über den rauhen Stein der Fensterbank, die draußen etwas vorstand, ich blieb an irgendeinem Nagel oder so hängen und riß mir fast den Sack ab. Der Schmerz verlieh mir Schwung, und eine Sekunde später fand ich mich draußen wieder, mit nur einer Hand an der Kante des Dachsimses hängend. Ich schrie wie ein Mastferkel, daß sich für’ne Cheerleaderin hält. Da unter mir gähnte die Dunkelheit. Ich kannte diese Szene, es gab sie ja häufiger im Fernsehen. Nur daß in der Glotze meist hübsche, schlanke Mädels irgendwo dran hingen und oben muskelbepackte Schönlinge darauf warteten, sie zu packen und mit einem beherzten Ruck in’s Happy End zu befördern. Diesmal war es ein fetter, alter Knacker mit gut hundertzehn Kilo, die Hälfte davon Bierbauch, der hier hing. Damit sah die Sache schon anders aus. Ich versuchte, die zweite, linke Hand an die Dachkante zu kriegen. Aber irgendwie schien mein rechter Arm länger zu sein. Um mir die Zeit zu vertreiben, brüllte ich noch ein bißchen lauter herum. Jederzeit sonst wären längst die Bullen wegen Ruhestörung da gewesen. Heute hatten sie ihren freien Tag.

Vielleicht sollte ich einfach loslassen. Hatte der spindeldürre Bubi von der BI-Software nicht gesagt, man brauche bloß Selbstmord zu begehen, um hier raus und wieder in die Realität zu kommen? Die Überlegung erschien mir im ersten Moment verlockend. Doch dann dachte ich an die Realität, die ja kaum einen Deut besser war als das hier, und daß der Typ außerdem was von Datenverlust genuschelt hatte. Also lieber doch nicht loslassen. Ich gab meiner Hand Bescheid, daß sie sich noch ein Weilchen festkrallen solle. Sie lehnte ab und löste sich gegen meinen ausdrücklichen Befehl. Ich rauschte runter. Mein ganzes Leben zog an meinem inneren Auge vorbei. Allerdings nur bis kurz nach meiner Geburt, dann krachte es auch schon und ich rasselte in einen Haufen Gerümpel. Das Vordach war höchstens zweieinhalb Meter über dem Boden gewesen. Ich verstauchte mir einen Fuß und zog mir ein paar lange Schrammen an einer rostigen Harke zu. Es war dunkel, ich konnte nicht erkennen, wo und wie ich genau zum Liegen gekommen war, doch ein alter Instinkt gebot mir, erstmal kurz liegen zu bleiben und die Situation gründlich zu analysieren. Als ich damit fertig war, stand ich auf, knallte mit der Stirn gegen einen Pfosten, taumelte zurück, riß dabei einen Bretterstapel um, griff im Bemühen, das Gleichgewicht zu halten, hinter mich, erwischte eine Kette, die einige hochkant gestellte Bänke zusammenhielt und wurde unter diesem ganzen Zeug begraben. So langsam reichte es mir.
Plötzlich sah ich ein Licht in der Dunkelheit, das sich von den übrigen Sternen und farbigen Schleiern vor meinen Augen durch eine etwas handfestere Präsenz unterschied. Ich justierte meinen Fokus darauf. Das Licht kam aus einem Fenster schräg oben gegenüber. Ein Kopf erschien in diesem Fenster, umgeben von einem feurigen Gloriolenschein erleuchteten Haares.
Hallo?! Ist da jemand?“
Hey, Sally, bist du das?!“
Wer ist da? Wer seid Ihr? Tretet hervor aus dem Schatten, damit ich Euch zu erkennen vermag!“
Können vor Lachen! Ich bin irgendwie eingeklemmt. Wie wär’s, wenn du mich hier mal rauspulen würdest? Wollte dich gerade besuchen kommen!“
Aah! Der kleine Süße Fratz aus Winthrops Wirtschaft auf der Suche nach seinem Kleingeld, wie?“
Sally, du hast es erfaßt. Wärest du jetzt vielleicht so freundlich...“
Einen Moment, bin sofort unten!“
Das Licht in dem Fenster erlosch. Dann hörte ich etwas schrappen, jemand machte sich den Weg zu mir frei. Dann wurden die über mir verkeilten Bänke weggezogen.
Na, wie geht’s?!“, vernahm ich ihre Stimme in der Finsternis, „Noch alles dran am Mann?!“
Naja, bis auf einige lebensgefährliche Frakturen im Rückgrat, die abgetrennten Hände, Füße und Ohren fühle ich mich ganz okay. Sag mal, könntest du hier nicht mal für ein bißchen Licht sorgen? Hast du vielleicht ne Laterne oder Fackel oder sowas in der Richtung?! Nicht, daß du mir hier im Finstern noch auf irgendwelche empfindlichen Stellen trittst!“
Keine Bange, Süßer, wir Meisterdiebe lieben die Dunkelheit! Ich bin voll im meinem Element! A propos,“ meinte sie, „daß ich Diebin bin, weißt du jetzt ja. Aber was ist mit dir? Was ist deine Klasse?“
Ich hustete, weil ich Staub zwischen die Zähne gekriegt hatte.
Meine Klasse?! Naja, um die fünfundneunzig Kilo. Dürfte Schwergewicht sein, oder Halbschwergewicht oder so.“
Nein, nicht deine Gewichtsklasse!“ Sie lachte. „Ich meine: was ist deine Berufsklasse, was machst du so, wenn du nicht gerade in irgendwelchen Schrotthaufen rumkrabbelst?“
Mein Beruf – hhm, naja... Mal hier ein Job, mal da. Mein Geld verdiene ich auf der Rennbahn. Pferdewetten. Eigentlich will ich nur in Ruhe das eine oder andere Gedicht in die Tasten hauen, wenn du verstehst, was ich meine. Oder auch mal ne Short Story...“
Ah – dann bist du also so eine Art Barde, was?“
Kann schon sein“, grunzte ich.
Der Rest des Gerümpels über mir verschwand, und ich tastete in der Gegend rum, kriegte aber nichts interessantes zu fassen.
Du kannst jetzt aufstehen“, sagte sie. „Hast du’s dir inzwischen anders überlegt?“
Anders überlegt? Wovon, zum Teufel, sprichst du?...“
Wegen deiner Party. Bin ich dabei?!“
Ah - ... yep, genau, die Party-Sache. Sag mal, könnten wir das nicht woanders besprechen, vielleicht bei dir oben in der Bude?“
Wollte ich gerade vorschlagen. Hab auch noch was zu trinken da, du siehst aus, als könntest du einen Schluck vertragen“
Du hast einen verdammt scharfen Blick hier in der Dunkelheit...“
Das ist nicht das einzig Scharfe an mir... Komm, laß uns hochgehen!“
Ich mochte sie. So sehr, daß ich sogar die Strickleiter hoch zu ihrem Zimmer emporturnte. Und das bei den Lichtverhältnissen! Sie hatte das Ding natürlich nicht gebraucht, sie war ohne alle Hilfsmittel die Mauer hoch, so wie Ninjas in diesen Hong-Kong-Streifen. Eine Weile brauchte ich schon, bis ich oben war, die Strickleiter baumelte nach links, wenn ich mit dem rechten Fuß eins höher wollte und nach rechts, wenn ich’s andersrum versuchte, aber ich war immer schon ein zäher Kerl gewesen. Aufgeben kommt in meinem Wortschatz nicht vor, jedenfalls nicht, wenn man mir ein ordentliches Glas in Aussicht gestellt hat. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ihre Bude oben machte sofort einen heimeligen Eindruck auf mich. Links neben dem Fenster, sozusagen am Eingang, stand eine Reihe leerer Flaschen, rechts, an die Wand gerückt, ein Eimer mit einem großen Deckel.
Fischsuppe von letzter Woche“, erklärte sie mir auf mein fragendes Gesicht hin. „Den Deckel heb ich jetzt lieber nicht hoch. Winthrop bewahrt immer die Essensreste für micht auf, seit sie nicht mehr an die Schweine verfüttert werden dürfen. Du weißt schon – MKS und so... Ich hab immer einen ordentlichen Bottich am Fenster. Wenn da unten jemand rumsteht und mir dumm kommt, kriegt er eine Portion übergegossen. Das ist wie eine Art Marker, verstehste? Den Gestank kriegt man so schnell nicht aus den Haaren gewaschen, das hält sich Tage lang und ich kann später die Verfolgung aufnehmen, wenn ich zum Beispiel gerade einen Kater habe...“
Klasse Einfall, den merk ich mir.“ Die Frau war definitiv verrückt und das gefiel mir sehr.
Ein Problem ist, daß meine Bude auch danach stinkt, falls der Deckel mal nicht richtig drauf liegt. Und die Fliegen, wenn’s heiß ist. Aber dafür hab ich den hier.“ Sie zeigte auf einen kleinen Holztisch.
Ein Tisch gegen Fliegen?“
Nein! Mann, guck doch mal genau hin! Mach deine verschwiemelten Augen auf! Naaa?!“
Es ist hier ziemlich dämmerig. Ich meine – ah ja, klar doch! Und wie heißt das Tierchen?“
Ich nenne ihn Larence von Arabien. Wegen seiner Augen. Die sind so ausdrucksstark.“
Was an den Augen dieses Chamäleons ausdrucksstark sein sollte, leuchtete mir nicht ein, aber andererseits paßte der Name genauso gut wie jeder andere auch, vielleicht sogar besser als Fifi, Nero oder Bello.
Willst du ihn mal streicheln?“
Nee, laß mal, nachher spuckt der mir noch Essensreste ins Auge!“
Sie lachte. Es lief genau in die richtige Richtung. Inzwischen hatten sich meine Augen an die Düsternis so halbwegs gewöhnt. Ihre Kurven waren phänomenal. Ich ließ mich auf eine Matratze in irgendeiner der Zimmerecken fallen. Dabei fiel mir auf, daß es mehr als vier Zimmerecken gab. Der Raum war fünfeckig.
Hey, dein Zimmer ist fünfeckig!“
Naja, ich bin Diebin und als solche braucht man einen fünften Sinn.“
Ich denke, das heißt: sechster Sinn?!“
Is ja auch egal. Willst du was zu trinken?“
Yep!“
Sie hatte mehrere Flaschen Wein da und das ließ hoffen für die Nacht.
Hör mal,“ sagte sie, „das mit dem Geld, das ich dir abgenommen habe... Du kriegst es natürlich wieder, Ehrensache! Ich wollte nur sichergehen, daß du mich mit in deine Gruppe aufnimmst.“
Warum wolltest du unbedingt sichergehen?“
Naja, mir gefällt dein Gesicht, irgendwie. Und deine Art zu gehen...“
Right. Und mir gefallen deine Beine.“
Wirklich?!
Yeah, ich kenn mich da aus, für Beine habe ich’n Blick. Deine sind echte Ausnahmeexemplare, genau die richtigen Linien und Proportionen und so. Ziemlich sexy.“
Meinst du das ehrlich?“
Beim Augenlicht meiner Mutter!“
Willst du sie mal anfassen?“
Hhm. Schenk mir vorher noch ein Glas ein, sowas muß man mit Bedacht angehen.“
Sie langte mir die Flasche rüber. Ich mochte sie. Der blonde Nigger und Babydoll Moni sollten ruhig noch’ne Weile warten.