Sonntag, März 30, 2014

Im Freundlichen Arm







Im Freundlichen Arm


Er sah wirklich nicht gut aus. Schade auch um seine schöne Robe. Die war aus Samt und Seide und hatte bestimmt ein Vermögen gekostet. Ich überlegte, daß es meine gute Christenpflicht sei, den alten Breiesser zu begraben, damit ihn nicht die Raben und Eichelhäher noch weiter zerpflücken konnten. Ohne große Hoffnung schaute ich mich nach einem Spaten um.
Und richtig: es fand sich weit und breit kein keiner.
Während ich so überlegte, was nun anzufangen sei, fiel mir ein, daß ich meinen morgendlichen Bierschiss noch nicht zelebriert hatte. Mit diesem Gedanken kam der übliche Druck auf den Darm und ich wackelte mit aneinandergepreßten Arschbacken rüber zu ein paar kleinen, dichtbeasteten Tannen. Ich hockte mich dahinter. Keine Sekunde zu spät riß ich mir die Bux runter, und schon schoß es sprotzend und mit feurigen Fürzen unterlegt raus. Niemand war gezwungen, hinzusehen. Erleichtert wollte ich mir den Hintern abwischen – und merkte, daß kein Toilettenpapier an der Toilettenpapierhalterung an der Wand hing. Ob dieser Erkenntnis erschrocken fiel ich aus meiner Hocke um. Genau in das Gemisch, daß ich gerade von mir gegeben hatte. Geschickt rollte ich nach hinten ab und hatte nun eine mit Tannennadeln verzierte, braun-feuchte Spur über dem Rücken. Genaugenommen fühlte ich mich müde.
Bei dem Begräbnis brauchte ich vielleicht Hilfe. Ich schaute mich nach Bayan um. Er saß auf einem Felsstein in der Nähe und fummelte an der Sehne seines Bogens herum, welchen er normalerweise nach Indianerart quer über den Rücken zu tragen pflegte.
„Ey, Bayan, alter Krieger – wie wär`s, wenn Du mir ein wenig beim Verbuddeln der Leichen helfen würdest?“
Er schaute kurz, mit zusammengekniffenen Augen hoch: „Ich bin nicht dein Nigger, stinkender Whitey, ich springe nicht für dich und mache die Drecksarbeit!“
„Ah, yeah...!“
„Seit Jahrhunderten habt ihr Weißen mich und meine Brüder unterdrückt, wir durften für euch das Zuckerrohr anbauen in der sengenden Hitze Kubas und uns durch die rotstaubigen Baumwollplantagen der Südstaaten quälen. Ihr habt unsere Frauen gepimpert, ihr habt sie euch einfach genommen, von der Straße weg, wann ihr wolltet! Eure Windpocken haben uns zu Zehntausenden dahingerafft und ihr habt uns mit Nilpferdpeitschen das Fleisch in Fetzen vom Rücken geschnitten. Wo meine Brüder zu stolz waren, da habt ihr ihnen den Kopf mit Whisky und Crack vernebelt und immer noch sind wir unterrepräsentiert in den Führungsetagen der Wirtschaft und unsere Musik kupfert ihr auf erbärmliche Weise ab und unsere Seelen habt ihr...“
„Okay, tut mir leid! Kommt nicht mehr vor, versprochen! Ehem... na, dann werd ich mal sehen, wie ich allein klarkomme.“
Ich schaute rüber zu den beiden Mädels, die sich, Fingernägel ausgefahren, kreischend in den Haaren lagen. Sally hatte Moni am Bart gepackt und versuchte, die Priesterin wie beim Hammerwerfen um sich herumzuschleudern. Moni hatte allerdings etliche Pfunde zuviel angesetzt und lachte nur schrill, während sie sich bemühte, mit ihren Zwergenknobelbechern der Meisterdiebin eins vors Schienbein zu knallen.
In einen Streit zwischen Mastinos soll man sich nicht einmischen. Vielleicht brauchte ich doch keine Hilfe.
Ich suchte mir eine Stelle, wo der Boden nicht so hart und undurchdringlich aussah. Die oberste Schicht war aus Moos, kein Problem. Aber darunter wurde es gemeiner. Es lagen haufenweise faustgroße, spitze Steine im Erdreich verteilt. Ich kratzte in der Erde mit Gorions Gehstock, der eine eiserne Spitze hatte. Aber die eiserne Spitze taugte nicht viel. Als ich gerade den Dreh raus hatte, wie man mit ihr die Erde halb aufbrach und halb rausschippte, brach sie ab. Weit war die Kuhle noch nicht gediehen. Mein Rücken protestierte. Mein Atem ging stoßweise. Der Schweiß suppte mir in Bächen am Körper runter. Zwischendurch mußte ich mich immer mal kurz aufrichten, das Becken kreisen lassen und tief nach Luft schnappen. Die Arbeit verursachte mir Schwindelgefühle. Arbeit hatte mir immer schon Schwindelgefühle verursacht.
Irgendwann war das Loch vielleicht dreißig Zentimeter tief. Das mußte reichen. Ich zerrte den alten Mann an seinen Füßen herüber und wuchtete ihn in die Vertiefung. Bevor ich die zur Seite gekratzte Erde über ihm aufhäufte, durchwühlte ich seine Taschen. Vielleicht hatte er ja Geld dabei. Oder etwas zu trinken. Was ich fand, waren ein hübscher Ring und ein Brief. Er war an mich adressiert.

Chinasky, Du oller Saufsack!
Wenn du das hier liest, habe ich den Löffel abgegeben. Wahrscheinlich deinetwegen. Keine Ahnung, warum sie ausgerechnet Dich für die Heldenrolle casteten, irgendwer hat da einen mächtigen Fehler gemacht. Aber Schlamm drüber, wie der Lateiner sagt. Ich denke mal, Du steckst momentan bis zum Hals in der Kacke, und das ist auch gut so. Ich gönn’s Dir. Du bist ein Ekelpaket. Ein Kotzbrocken. Eine Pestbeule am Arsch der menschlichen Gesellschaft. Deine Mutter gehört strafweise gevierteilt, denn sie hätte Dich abtreiben müssen. Nun, die Frau ist leider nicht mehr zu belangen.
Wie ich mir aber denken kann, hat sich die kleine Sally, dieses Herzchen, an Dich gehängt, und das allein ist der Grund, daß ich mir nicht in meinem Grab freudig die Hände darüber reibe, weil Du vermutlich bald noch viel gewaltigeren Ärger kriegst, als du ihn jetzt schon an den Hacken hast. Nur weil ich mich um Sallys Zukunft sorge, gebe ich Dir jetzt ein paar kleine Hinweise.
Erstens: Gucke immer nach links und nach rechts, wenn Du über eine Straße gehst.
Zweitens: Hüte Dich vor der Polizei, besonders vor der Sitte.
Drittens: Gehe sofort zum Freundlichen Arm, gehe nicht über Los, ziehe nicht viertausend Dollars ein. Der Freundliche Arm ist erstens ein Übersetzungsfehler, zweitens aber eine befestigte Burg ein paar Reisestunden östlich von Kerzenburg. Dort müßten zwei Freunde von mir rumhängen, die, wenn Du nett zu ihnen bist, Dir eventuell einen Drink spendieren. Khalid und Jaheira heißen die beiden. Ich warne Dich: sei Ihnen gegenüber freundlich, belästige sie nicht mit Deinen Uraltwitzen und laß Deine Finger von Jaheiras Möpsen! Sie ist mit Khalid verlobt und der wird Dir die Fingernägel bis zur Achsel stutzen, wenn Du sie auch nur mit heraushängender Zunge anguckst!
So, mehr habe ich Dir nicht mitzuteilen. Jetzt leg mich schon in mein Grab und unterstehe Dich, hineinzuspucken!
Gorion

Ich rollte den alten Knacker in die Kuhle. Dann schippte ich den Waldsand drüber. Ich spuckte nicht hinterher. Ich mochte eine Pestbeule am Arsch der menschlichen Gesellschaft sein. Jedoch eine mit Stil. Die ausgehobene Erde reichte. Am Schluß war kein Zipfel von Gorions Mantel mehr zu sehen. Seinen Stab hatte ich zerbrochen und mit etwas Stoff ein Kreuz daraus zusammengebunden. Das rammte ich an der Kopfseite des Grabes in die Erde. Dann stand ich ein paar Minuten da und versuchte, mir eine Art Gebet oder Grabrede in Erinnerung zu rufen. Ohne Erfolg. Ich kannte Gorion so gut wie gar nicht. Gemocht hatte ich ihn noch weniger.
„Nil, nisil bene.“, murmelte ich.
Gegenüber saß ein Eichhörnchen in den unteren Ästen einer großen Fichte und knabberte in Gedanken versunken an einem Tannenzapfen. Dabei segelten ein paar braune Flocken runter auf Gorions Grab. Es hatte einen gewaltigen Appetit. Das Eichhörnchen.

Babydoll und Sally hatten sich ausgetobt. Ich ging zu ihnen rüber. Bayan war mit dem Rumfummeln an seinem Bogen fertig.
„Okay, laßt uns endlich losziehen!“, sagte ich.
„Hank?!“, sagte Sally und schnüffelte. „Hank, du solltest dich mal wieder waschen. Du riechst wie ein Hämorrhoid am Rektum der menschlichen Gesellschaft.“


Als wir zwei Tage später immer noch durch den Wald taperten, war ich mit den Nerven ziemlich runter. Sally und Babydoll Moni hatten sich gegen mich verbündet. Sie machten eins auf Frauenpower und feministische Solidarität. Mit Bayan mochten sie sich nicht anlegen, er hatte wohl den Geschützteminderheitenbonus. Also hatten sie mich ins Visier genommen. Sie nannten mich Stinkerchen. Sie lachten über die braunen Muster auf meinem Hemd. Wenn ich irgendetwas sagen wollte, fragen, oder vorschlagen, sagten sie: „Ja Stinkerchen? Was möchtest du, Stinkerchen? Och, was will uns Stinkerchen denn wohl mitteilen?“ Und dann giggelten sie wie Dreizehnjährige Internatsschülerinnen im Sexualkundeunterricht. Sie hatten es darauf angelegt, mich fertig zu machen. Obwohl ich ihnen nichts getan hatte. Es zerrte an meinem Gemüt. Sie ließen nicht locker. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Und wir hatten nichts zu Trinken dabei.
Daher erschien mir die Silhouette vom Freundlichen Arm, als ich sie schließlich in der Ferne erblickte, wie die Mauern des himmlischen Jerusalems. Waschmöglichkeit. Ein paar saubere Klamotten. Eiskaltes Bier.
Ich sprintete los und ließ die Weiber hinter mir. Aber es gab leider zwei Türsteher.

„Ey, Stinker, was willst Du hier? Hat dich jemand eingeladen?“
„Och Jungs, bleibt doch mal ganz locker in den Knien! Ich bin’s, Hank! Ein müder Reisender, der hier seine wohlverdienten Münzen in eurem Etablissement ausgeben möchte.“
„Heute geschlossene Gesellschaft.“
„Ihr wollt mich verscheißern, oder wie seh ich das?“
Der Kleinere von beiden beugte sich zu mir runter. Er überragte mich um knapp zwei Kopflängen und hatte einen altmodischen stählernen Brustpanzer an, in welchem ich mich auf groteske Weise spiegelte. Sein Atem roch nach Sauerkraut und billigem Wein.
„Hör mal, Alterchen, und hör genau zu, denn ich habe keine Lust, mich allzu häufig zu wiederholen. DU KOMMST HIER NICHT DURCH! Erst vor kurzem ist es uns gelungen, die Pest im Freundlichen Arm auszurotten, und wir holen sie uns nicht wieder rein, nur weil es unterhaltsam sein könnte! Verstänkere woanders die Luft, aber nicht bei uns!“
„Aber ich rieche nicht immer so, ich muß mich nur mal kurz waschen und dann...“
„Wasch Dich im Meer und zwar dort, wo’s am tiefsten ist!“
Langsam reichte es mir: „Sagt mal, ist das überhaupt legal, was ihr hier abzieht? Dies ist eine öffentliche Burg, und jeder Bürger darf da rein und raus, solange er sich benimmt. Denk ich mir mal... Ihr betreibt Amtsanmaßung! Befinden wir uns hier im wilhelminischen Obrigkeitsstaat oder was? Ihr könnt nicht einfach bestimmen, wer rein darf oder nicht, ich kenne meine Rechte, jawohl! Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen!“
Der Kleinere tauschte einen Blick mit seinem größeren Kollegen aus.
„Halt mal kurz!“, sagte er und überreichte ihm seine Hellebarde.
Doch ich war schneller. Bevor er den ersten Hieb landen konnte, verpaßte ich ihm einen harten rechten Haken auf die Leber. Etwas knackte. Mein Zeige- und mein Mittelfingerknochen. Scheiß Brustpanzer! Er täuschte unten an und ich riß die Hände vor’s Gesicht. Nein, er hatte doch nicht angetäuscht und während also meine Hände mein Gesicht schützten, zog er seine Gerade direkt auf meine Magenkuhle durch. Ich versuchte reflexhaft, Milz, Leber und sonstiges Gekröse festzuhalten. Da ich kein Frühstück gehabt hatte, kam es mir auch nicht hoch, statt dessen spuckte ich etwas Luft und grünen Schleim aus, während der Wachmann einen Schwinger auf mein linkes Ohr folgen ließ. Die Welt schwankte bedenklich auf ihrem Gerüst. Er riß meinen Kopf an den Haaren nach unten, von wo mir schon sein Knie entgegenkam. Immer dieselben fiesen Tricks, aber es half nichts: an dieser Stelle der Fahrbahn war kein Platz zum Ausweichen. Das Weltengerüst kippte zur Seite.
***
„I-i-ich g-g-g-glaube, er w-w-w-wacht auf!“
Die Stimme eines unbekannten Mannes drang nur ganz langsam zu mir durch. Ich war mir unsicher, ob ich die immense Kraftanstrengung leisten sollte, meine verklebten Auge zu öffenen. Lohnte es sich? Lohnte es sich, auch nur zu atmen? Immerhin strengte das ziemlich an.
„Ich kann da nix bemerken, seine Augen sind noch zu!“, sagte eine Frauenstimme, die mir unbekannt war..
„A-a-a-aber, er h-h-hat eben ge-ge-ge-gezuckt!“
„Das besagt noch gar nichts. Aale zum Beispiel zucken noch, wenn man sie in Stücke geschnitten und in die Pfanne geworfen hat.“
„Wir sollten uns nach einer Pfanne umsehen. Einer großen!“ – Das war erkennbar die Stimme von Bayan. Ich befand mich also noch nicht im Jenseits. Da mir das Augenöffnen eine übertriebene Energieverschleuderung zu sein schien, probierte ich es mit einem Stöhnen.
„Hö-hö-hö-hört ihr? Er w-w-w-w-wacht auf!“
Der Stotterer irrte sich. Ich glitt wieder zurück in die warmen Arme der Bewußtlosigkeit.

***

Später dann wachte ich aber doch auf. Fühlte ich mich diesmal etwas kräftiger und riskierte einen Blick durch meine verschwiemelten Lider. Ich sah - nichts. Es war alles schwarz um mich herum! Besorgnis keimte auf. Hatten sie mich in einen Sarg gesteckt und beerdigt? Ich wollte gegen den Sargdeckel trommeln – doch da war kein Sargdeckel. Panik stieg in mir hoch. Was war das? War ich tot? Trieb ich verbindungslos im Orbit? Ich wälzte mich herum – und fiel von einer Pritsche herunter. Platsch.
Eine Tür ging auf und das hereindringende Licht flutete über den kalten Kachelfußboden. Ich konnte wieder sehen! Wie schön. Fühlte mich wie neugeboren, als ich den Kopf hob und den Blick nach oben richtete. Vor mir ragten die Beine einer Frau empor.

***

Später saßen wir dann alle an einem langen Tisch und tranken. Babydoll Moni und Sally erzählten mir abwechselnd, wie sie mich kurz vor der endgültigen Zermatschung aus den Fängen der Torwächter befreit hätten. Man hatte mich zum ortsansässigen Kleriker zur Reanimation gebracht, da Moni diesen Spruch angeblich nicht drauf hatte. Dort hatte man mich in ein großes Becken mit geweihtem und mit einer Waschlotion versehenem Wasser geworfen und mir dann die Drecks- und Blutkruste abgekratzt. Die Frau mit den Beinen – das war Jaheira gewesen. Auf diese Beine starrte ich auch im Moment, aber ich machte es auf eine geschickte Art und Weise. Ich blickte durch mein Bierglas hindurch, in welchem sich diese Beine auf’s Anmutigste kaleidoskopisch brachen. Kaleidoskopisch. Hhmmm. Kaleidoskopisch... Na, so ganz schien ich immer noch nicht wieder hergestellt zu sein.

Wir befanden uns in der einzigen Taverne am Ort. Wir, das waren Sally, Babydoll, Bayan, Jaheira, Khalid und ich. Khalid war angeblich mit Jaheira verlobt. Ich hätte es eher so ausgedrückt: er war ihr verfallen. Das konnte man sehen an der Art, wie er sie mit Hundeaugen anglotzte, während sie ihn meistens ignorierte oder wie einen kleinen Jungen behandelte. Sie hatte bei ihm den Daumen drauf. Aber sie ließ ihn nicht ran. Darauf hätte ich meine sämtlichen Ersparnisse verwettet.
Ich kannte diese Art von Beziehungskisten. Männer haben Wölfe und Löwen gekillt, sie kämpfen erfolgreich gegen Drachen, Aliens und weniger erfolgreich gegen die Hundescheiße auf den Straßen, sie haben den Weltraum mit ihren Raketen im Griff und können einer tausender Motoguzzi ihren Willen aufzwängen. Aber wenn so ein Violinenform-Popöchen daherkommt und verlockend unter einem viel zu kurzen Kettenhemd hin und herwackelt, dann verläßt sie der Mumm, dann fangen sie an, wie Kleinkinder zu sabbern und machen den Rücken krumm und lassen sich vorführen.
Jaheira war eine von diesen Frauen, die sämtliche Männer in ihrer Umgebung fickerig machen und das genießen und doch allabendlich unberührt in ihr Bettchen hüpfen und mit dem Stofftigern schmusen. Sie hatte das Zeug dazu. Ihre Beine unter dem kurzen Kettenhemd waren phänomenal. Sie hatte halbkurze, brünette Locken und einen sinnlichen Mund, der zum Lutschen prädestiniert schien. Zu allem Überfluß war da ein Leberfleck neben ihrem rechten Mundwinkel. Ihre Augen standen leicht schräg und verliehen ihr etwas Katzenartiges. Wenn sie aufstand, um ein neues Getränk vom Thresen zu holen, dann drehte sie sich auf eine spezielle, schlangenartige Weise in den Hüften, sie umkurvte die herumstehenden Leute und Stühle und Tische auf eine geradezu musikalische Art. Es war kaum zum Aushalten! Eine Epiphanie der Verführung, die Apotheose dessen, was jahrelange Vollwerternährung und regelmäßiges Joga-Joggen bewirken konnten! Die Göttin der Schlampen!
Es war schwierig, sich zu konzentrieren, wenn man auf diese Beine starrte, egal, ob ein Glas dazwischenstand oder nicht. Zum Glück hatte ich Sally und stand also nicht völlig verloren unter Druck, aber es war auch so schwer genug, cool zu bleiben. Khalid hatte keine Sally. Vielleicht hätte sich Moni seiner erbarmt, aber Khalid hatte keine Augen für andere Frauen als Jaheira. Er war ein Gefangener. Ein Sklave. Eine verkorkste Chance.
Wir saßen da und tranken und unterhielten uns über Gorion und die Spinner, denen wir im Wald begegnet waren. Jaheira wollte wissen, wie die ausgesehen hatten.
„Groß!“, meinte Sally. „Groß, schlank und dunkelhäutig.“
„Und bärtig. Sie hatten lange Bärte.“, fügte Bayan hinzu.
„Na und, was besagt das schon!?“, warf Moni ein. „Alle Welt trägt heutzutage Bärte!“
„Das ist bedenklich.“, meinte Jaheira und machte dabei ein versonnenes Gesicht. Khalid glotzte sie an.
B-b-b-b-bedenkli-li-li-lich? W-w-w-wieso?“
„Es könnte sich um einen Terroranschlag gehandelt haben.“
„Wie kommst du auf Terroranschlag?“, wollte Sally wissen. Ihre Stimme hatte einen leicht gereizten Unterton und ich entschied mich, mal woanders hin als auf den Rand von Jaheiras Kettenhemd zu gucken.
„Es paßt alles. Groß, dunkelhäutig und bärtig. Und dann wird Gorion getötet. Gorion war ein engagierter Streiter für die Gleichberechtigung der Orks und Gnolle. Er kämpfte für die Versöhnung der Rassen und trat für eine Entspannungspolitik gegenüber Menzoberranzan und Amn ein.“, erklärte Jaheira. Ich verstand nur Bahnhof.
„Kapier ich nicht.“ Moni verstand auch nur Bahnhof.
„Ja, seit ihr denn gar nicht auf dem Laufenden?“ Jaheira guckte uns der Reihe nach mit ihren Scheinwerferaugen erstaunt an. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich an der Reihe war.
„Klär uns doch auf, Katzenauge!“, zischte Bayan, dem die Erwähnung von Dunkelhäutigen, Gnollen und Menzoberranzan nicht zu gefallen schien.
„Ja, hattet ihr denn keine Marktschreier in Kerzenburg? Habt ihr nichts mitgekriegt von dem Selbstmord-Anschlag auf den Großen Deumel im Hafen von Baldurs Tor?“
Unseren Gesichtern war zu entnehmen, daß wir wohl tatsächlich noch nichts davon gehört hatten.
„D-d-d-da ha-ha-aben die f-f-f-fiesen D-d-d-d...“, begann Kahlid zu erklären. Doch Jaheira unterbrach ihn:
„Laß mich mal erklären, Kahlid, dann dauert’s nicht den ganzen Abend.“
Khalid nickte ergeben.
„Also Folgendes: Vor sechs Wochen haben einige Drow einen Linienflugdrachen gekidnappt. Sie drohten, die Flughäute des Drachen mit Teppichmessern zu zerschneiden und brachten ihn so unter ihre Kontrolle. Sie verbanden ihm die Augen, sodaß er sich beim Fliegen nur noch auf ihre mündlichen Anweisungen verlassen konnte. Dann zwangen sie ihn, Bombelbeeren und weiße Bohnen zu fressen. Ihr wißt alle, welch fatale Auswirkungen Bombelbeeren in Verbindung mit weißen Bohnen auf das Verdauungssystem von Drachen haben können. Normalerweise ergibt das explosive Fürze, was sich die Groß-Agrarier von Süd-Faerun zunutze machen, um so ganze Wälder schnell und effektiv zu roden. Das Timing der Drow war perfekt: Noch bevor der Drache die sich in seinem Magen sammelnden Gase nach hinten rauslassen konnte, hatten sie ihn über den Hafen von Baldurs Tor navigiert. Dort steuerten sie ihn direkt in den großen Deumel, das Wahrzeichen von Baldur’s Tor. Beim Zusammenprall wurde der Linienflugdrache (samt seinen Passagieren) sozusagen verdichtet, sein Hals schob sich, wie Experten nacher ausgerechnet haben, nach hinten durch wie ein Kolben in einem Verbrennungsmotor. Dadurch entstand in seinem Magen ein Druck von mehr als 20000 bar. WUMMS!!! Die Explosion war verheerend, der ganze große Deumel wurde einfach weggesprengt. Die davonfliegenden Trümmer regneten über das gesamte Stadtgebiet hernieder. Selbst der Herzogspalast wurde beschädigt.“
Wir waren alle wie paralysiert. Als sie WUMMS! gesagt hatte, war sie zur Verdeutlichung aufgesprungen und dabei hatte ihr Busen unter dem Kettenhemd eine anbetungswürdige Bewegung vollführt, die mich an den Gesetzen der Schwerkraft zweifeln ließ. Der ganze Kram mit dem großen Deumel oder den furzenden Drachen hatte mich weniger gefesselt als beispielsweise Moni.
„Wie?!“, rief die Lilliputanerin,“ Der große Deumel ist zerstört? Dieses herrlich schlank emporragende Gebäude? Dieses Wahrzeichen nicht nur von Baldurs Tor sondern der gesamten freien Welt? Welch ein Unglück! Der große Deumel wurde einst von uns Zwergen gebaut, er war eine Auftragsarbeit, wie wir noch nie eine bekommen hatten. Er war so hoch wie die Berge, in welchen Boldrin III wohnte. Ein mächtiger Zwergenkönig mit einem legendären Drenglszurksw! Nach diesem Drenglszurksw war der „Große Deumel“ (denn das ist die Übersetzung vom zwergischen Drenglszurksw) geformt. Er stand für die Potenz der Wirtschaftsmacht von Baldurs Tor, er symbolisierte für uns den Glanz der Geschäfte, die aufgerichtete Freiheit, den erigierten Frieden, die Schönheit des Goldes...“
Moni war am Boden zerstört.
„Schlimme Sache, das!“, meinte ich mitfühlend. Mein Bier war alle. Ich stand auf, um mir ein neues zu holen. Der Kneipenbesitzer war ein Schwager von Jaheira und deshalb konnten wir alle frei essen und trinken. Ich fand’s sehr gemütlich hier.