Sonntag, März 30, 2014

Im Freundlichen Arm







Im Freundlichen Arm


Er sah wirklich nicht gut aus. Schade auch um seine schöne Robe. Die war aus Samt und Seide und hatte bestimmt ein Vermögen gekostet. Ich überlegte, daß es meine gute Christenpflicht sei, den alten Breiesser zu begraben, damit ihn nicht die Raben und Eichelhäher noch weiter zerpflücken konnten. Ohne große Hoffnung schaute ich mich nach einem Spaten um.
Und richtig: es fand sich weit und breit kein keiner.
Während ich so überlegte, was nun anzufangen sei, fiel mir ein, daß ich meinen morgendlichen Bierschiss noch nicht zelebriert hatte. Mit diesem Gedanken kam der übliche Druck auf den Darm und ich wackelte mit aneinandergepreßten Arschbacken rüber zu ein paar kleinen, dichtbeasteten Tannen. Ich hockte mich dahinter. Keine Sekunde zu spät riß ich mir die Bux runter, und schon schoß es sprotzend und mit feurigen Fürzen unterlegt raus. Niemand war gezwungen, hinzusehen. Erleichtert wollte ich mir den Hintern abwischen – und merkte, daß kein Toilettenpapier an der Toilettenpapierhalterung an der Wand hing. Ob dieser Erkenntnis erschrocken fiel ich aus meiner Hocke um. Genau in das Gemisch, daß ich gerade von mir gegeben hatte. Geschickt rollte ich nach hinten ab und hatte nun eine mit Tannennadeln verzierte, braun-feuchte Spur über dem Rücken. Genaugenommen fühlte ich mich müde.
Bei dem Begräbnis brauchte ich vielleicht Hilfe. Ich schaute mich nach Bayan um. Er saß auf einem Felsstein in der Nähe und fummelte an der Sehne seines Bogens herum, welchen er normalerweise nach Indianerart quer über den Rücken zu tragen pflegte.
„Ey, Bayan, alter Krieger – wie wär`s, wenn Du mir ein wenig beim Verbuddeln der Leichen helfen würdest?“
Er schaute kurz, mit zusammengekniffenen Augen hoch: „Ich bin nicht dein Nigger, stinkender Whitey, ich springe nicht für dich und mache die Drecksarbeit!“
„Ah, yeah...!“
„Seit Jahrhunderten habt ihr Weißen mich und meine Brüder unterdrückt, wir durften für euch das Zuckerrohr anbauen in der sengenden Hitze Kubas und uns durch die rotstaubigen Baumwollplantagen der Südstaaten quälen. Ihr habt unsere Frauen gepimpert, ihr habt sie euch einfach genommen, von der Straße weg, wann ihr wolltet! Eure Windpocken haben uns zu Zehntausenden dahingerafft und ihr habt uns mit Nilpferdpeitschen das Fleisch in Fetzen vom Rücken geschnitten. Wo meine Brüder zu stolz waren, da habt ihr ihnen den Kopf mit Whisky und Crack vernebelt und immer noch sind wir unterrepräsentiert in den Führungsetagen der Wirtschaft und unsere Musik kupfert ihr auf erbärmliche Weise ab und unsere Seelen habt ihr...“
„Okay, tut mir leid! Kommt nicht mehr vor, versprochen! Ehem... na, dann werd ich mal sehen, wie ich allein klarkomme.“
Ich schaute rüber zu den beiden Mädels, die sich, Fingernägel ausgefahren, kreischend in den Haaren lagen. Sally hatte Moni am Bart gepackt und versuchte, die Priesterin wie beim Hammerwerfen um sich herumzuschleudern. Moni hatte allerdings etliche Pfunde zuviel angesetzt und lachte nur schrill, während sie sich bemühte, mit ihren Zwergenknobelbechern der Meisterdiebin eins vors Schienbein zu knallen.
In einen Streit zwischen Mastinos soll man sich nicht einmischen. Vielleicht brauchte ich doch keine Hilfe.
Ich suchte mir eine Stelle, wo der Boden nicht so hart und undurchdringlich aussah. Die oberste Schicht war aus Moos, kein Problem. Aber darunter wurde es gemeiner. Es lagen haufenweise faustgroße, spitze Steine im Erdreich verteilt. Ich kratzte in der Erde mit Gorions Gehstock, der eine eiserne Spitze hatte. Aber die eiserne Spitze taugte nicht viel. Als ich gerade den Dreh raus hatte, wie man mit ihr die Erde halb aufbrach und halb rausschippte, brach sie ab. Weit war die Kuhle noch nicht gediehen. Mein Rücken protestierte. Mein Atem ging stoßweise. Der Schweiß suppte mir in Bächen am Körper runter. Zwischendurch mußte ich mich immer mal kurz aufrichten, das Becken kreisen lassen und tief nach Luft schnappen. Die Arbeit verursachte mir Schwindelgefühle. Arbeit hatte mir immer schon Schwindelgefühle verursacht.
Irgendwann war das Loch vielleicht dreißig Zentimeter tief. Das mußte reichen. Ich zerrte den alten Mann an seinen Füßen herüber und wuchtete ihn in die Vertiefung. Bevor ich die zur Seite gekratzte Erde über ihm aufhäufte, durchwühlte ich seine Taschen. Vielleicht hatte er ja Geld dabei. Oder etwas zu trinken. Was ich fand, waren ein hübscher Ring und ein Brief. Er war an mich adressiert.

Chinasky, Du oller Saufsack!
Wenn du das hier liest, habe ich den Löffel abgegeben. Wahrscheinlich deinetwegen. Keine Ahnung, warum sie ausgerechnet Dich für die Heldenrolle casteten, irgendwer hat da einen mächtigen Fehler gemacht. Aber Schlamm drüber, wie der Lateiner sagt. Ich denke mal, Du steckst momentan bis zum Hals in der Kacke, und das ist auch gut so. Ich gönn’s Dir. Du bist ein Ekelpaket. Ein Kotzbrocken. Eine Pestbeule am Arsch der menschlichen Gesellschaft. Deine Mutter gehört strafweise gevierteilt, denn sie hätte Dich abtreiben müssen. Nun, die Frau ist leider nicht mehr zu belangen.
Wie ich mir aber denken kann, hat sich die kleine Sally, dieses Herzchen, an Dich gehängt, und das allein ist der Grund, daß ich mir nicht in meinem Grab freudig die Hände darüber reibe, weil Du vermutlich bald noch viel gewaltigeren Ärger kriegst, als du ihn jetzt schon an den Hacken hast. Nur weil ich mich um Sallys Zukunft sorge, gebe ich Dir jetzt ein paar kleine Hinweise.
Erstens: Gucke immer nach links und nach rechts, wenn Du über eine Straße gehst.
Zweitens: Hüte Dich vor der Polizei, besonders vor der Sitte.
Drittens: Gehe sofort zum Freundlichen Arm, gehe nicht über Los, ziehe nicht viertausend Dollars ein. Der Freundliche Arm ist erstens ein Übersetzungsfehler, zweitens aber eine befestigte Burg ein paar Reisestunden östlich von Kerzenburg. Dort müßten zwei Freunde von mir rumhängen, die, wenn Du nett zu ihnen bist, Dir eventuell einen Drink spendieren. Khalid und Jaheira heißen die beiden. Ich warne Dich: sei Ihnen gegenüber freundlich, belästige sie nicht mit Deinen Uraltwitzen und laß Deine Finger von Jaheiras Möpsen! Sie ist mit Khalid verlobt und der wird Dir die Fingernägel bis zur Achsel stutzen, wenn Du sie auch nur mit heraushängender Zunge anguckst!
So, mehr habe ich Dir nicht mitzuteilen. Jetzt leg mich schon in mein Grab und unterstehe Dich, hineinzuspucken!
Gorion

Ich rollte den alten Knacker in die Kuhle. Dann schippte ich den Waldsand drüber. Ich spuckte nicht hinterher. Ich mochte eine Pestbeule am Arsch der menschlichen Gesellschaft sein. Jedoch eine mit Stil. Die ausgehobene Erde reichte. Am Schluß war kein Zipfel von Gorions Mantel mehr zu sehen. Seinen Stab hatte ich zerbrochen und mit etwas Stoff ein Kreuz daraus zusammengebunden. Das rammte ich an der Kopfseite des Grabes in die Erde. Dann stand ich ein paar Minuten da und versuchte, mir eine Art Gebet oder Grabrede in Erinnerung zu rufen. Ohne Erfolg. Ich kannte Gorion so gut wie gar nicht. Gemocht hatte ich ihn noch weniger.
„Nil, nisil bene.“, murmelte ich.
Gegenüber saß ein Eichhörnchen in den unteren Ästen einer großen Fichte und knabberte in Gedanken versunken an einem Tannenzapfen. Dabei segelten ein paar braune Flocken runter auf Gorions Grab. Es hatte einen gewaltigen Appetit. Das Eichhörnchen.

Babydoll und Sally hatten sich ausgetobt. Ich ging zu ihnen rüber. Bayan war mit dem Rumfummeln an seinem Bogen fertig.
„Okay, laßt uns endlich losziehen!“, sagte ich.
„Hank?!“, sagte Sally und schnüffelte. „Hank, du solltest dich mal wieder waschen. Du riechst wie ein Hämorrhoid am Rektum der menschlichen Gesellschaft.“


Als wir zwei Tage später immer noch durch den Wald taperten, war ich mit den Nerven ziemlich runter. Sally und Babydoll Moni hatten sich gegen mich verbündet. Sie machten eins auf Frauenpower und feministische Solidarität. Mit Bayan mochten sie sich nicht anlegen, er hatte wohl den Geschützteminderheitenbonus. Also hatten sie mich ins Visier genommen. Sie nannten mich Stinkerchen. Sie lachten über die braunen Muster auf meinem Hemd. Wenn ich irgendetwas sagen wollte, fragen, oder vorschlagen, sagten sie: „Ja Stinkerchen? Was möchtest du, Stinkerchen? Och, was will uns Stinkerchen denn wohl mitteilen?“ Und dann giggelten sie wie Dreizehnjährige Internatsschülerinnen im Sexualkundeunterricht. Sie hatten es darauf angelegt, mich fertig zu machen. Obwohl ich ihnen nichts getan hatte. Es zerrte an meinem Gemüt. Sie ließen nicht locker. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Und wir hatten nichts zu Trinken dabei.
Daher erschien mir die Silhouette vom Freundlichen Arm, als ich sie schließlich in der Ferne erblickte, wie die Mauern des himmlischen Jerusalems. Waschmöglichkeit. Ein paar saubere Klamotten. Eiskaltes Bier.
Ich sprintete los und ließ die Weiber hinter mir. Aber es gab leider zwei Türsteher.

„Ey, Stinker, was willst Du hier? Hat dich jemand eingeladen?“
„Och Jungs, bleibt doch mal ganz locker in den Knien! Ich bin’s, Hank! Ein müder Reisender, der hier seine wohlverdienten Münzen in eurem Etablissement ausgeben möchte.“
„Heute geschlossene Gesellschaft.“
„Ihr wollt mich verscheißern, oder wie seh ich das?“
Der Kleinere von beiden beugte sich zu mir runter. Er überragte mich um knapp zwei Kopflängen und hatte einen altmodischen stählernen Brustpanzer an, in welchem ich mich auf groteske Weise spiegelte. Sein Atem roch nach Sauerkraut und billigem Wein.
„Hör mal, Alterchen, und hör genau zu, denn ich habe keine Lust, mich allzu häufig zu wiederholen. DU KOMMST HIER NICHT DURCH! Erst vor kurzem ist es uns gelungen, die Pest im Freundlichen Arm auszurotten, und wir holen sie uns nicht wieder rein, nur weil es unterhaltsam sein könnte! Verstänkere woanders die Luft, aber nicht bei uns!“
„Aber ich rieche nicht immer so, ich muß mich nur mal kurz waschen und dann...“
„Wasch Dich im Meer und zwar dort, wo’s am tiefsten ist!“
Langsam reichte es mir: „Sagt mal, ist das überhaupt legal, was ihr hier abzieht? Dies ist eine öffentliche Burg, und jeder Bürger darf da rein und raus, solange er sich benimmt. Denk ich mir mal... Ihr betreibt Amtsanmaßung! Befinden wir uns hier im wilhelminischen Obrigkeitsstaat oder was? Ihr könnt nicht einfach bestimmen, wer rein darf oder nicht, ich kenne meine Rechte, jawohl! Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen!“
Der Kleinere tauschte einen Blick mit seinem größeren Kollegen aus.
„Halt mal kurz!“, sagte er und überreichte ihm seine Hellebarde.
Doch ich war schneller. Bevor er den ersten Hieb landen konnte, verpaßte ich ihm einen harten rechten Haken auf die Leber. Etwas knackte. Mein Zeige- und mein Mittelfingerknochen. Scheiß Brustpanzer! Er täuschte unten an und ich riß die Hände vor’s Gesicht. Nein, er hatte doch nicht angetäuscht und während also meine Hände mein Gesicht schützten, zog er seine Gerade direkt auf meine Magenkuhle durch. Ich versuchte reflexhaft, Milz, Leber und sonstiges Gekröse festzuhalten. Da ich kein Frühstück gehabt hatte, kam es mir auch nicht hoch, statt dessen spuckte ich etwas Luft und grünen Schleim aus, während der Wachmann einen Schwinger auf mein linkes Ohr folgen ließ. Die Welt schwankte bedenklich auf ihrem Gerüst. Er riß meinen Kopf an den Haaren nach unten, von wo mir schon sein Knie entgegenkam. Immer dieselben fiesen Tricks, aber es half nichts: an dieser Stelle der Fahrbahn war kein Platz zum Ausweichen. Das Weltengerüst kippte zur Seite.
***
„I-i-ich g-g-g-glaube, er w-w-w-wacht auf!“
Die Stimme eines unbekannten Mannes drang nur ganz langsam zu mir durch. Ich war mir unsicher, ob ich die immense Kraftanstrengung leisten sollte, meine verklebten Auge zu öffenen. Lohnte es sich? Lohnte es sich, auch nur zu atmen? Immerhin strengte das ziemlich an.
„Ich kann da nix bemerken, seine Augen sind noch zu!“, sagte eine Frauenstimme, die mir unbekannt war..
„A-a-a-aber, er h-h-hat eben ge-ge-ge-gezuckt!“
„Das besagt noch gar nichts. Aale zum Beispiel zucken noch, wenn man sie in Stücke geschnitten und in die Pfanne geworfen hat.“
„Wir sollten uns nach einer Pfanne umsehen. Einer großen!“ – Das war erkennbar die Stimme von Bayan. Ich befand mich also noch nicht im Jenseits. Da mir das Augenöffnen eine übertriebene Energieverschleuderung zu sein schien, probierte ich es mit einem Stöhnen.
„Hö-hö-hö-hört ihr? Er w-w-w-w-wacht auf!“
Der Stotterer irrte sich. Ich glitt wieder zurück in die warmen Arme der Bewußtlosigkeit.

***

Später dann wachte ich aber doch auf. Fühlte ich mich diesmal etwas kräftiger und riskierte einen Blick durch meine verschwiemelten Lider. Ich sah - nichts. Es war alles schwarz um mich herum! Besorgnis keimte auf. Hatten sie mich in einen Sarg gesteckt und beerdigt? Ich wollte gegen den Sargdeckel trommeln – doch da war kein Sargdeckel. Panik stieg in mir hoch. Was war das? War ich tot? Trieb ich verbindungslos im Orbit? Ich wälzte mich herum – und fiel von einer Pritsche herunter. Platsch.
Eine Tür ging auf und das hereindringende Licht flutete über den kalten Kachelfußboden. Ich konnte wieder sehen! Wie schön. Fühlte mich wie neugeboren, als ich den Kopf hob und den Blick nach oben richtete. Vor mir ragten die Beine einer Frau empor.

***

Später saßen wir dann alle an einem langen Tisch und tranken. Babydoll Moni und Sally erzählten mir abwechselnd, wie sie mich kurz vor der endgültigen Zermatschung aus den Fängen der Torwächter befreit hätten. Man hatte mich zum ortsansässigen Kleriker zur Reanimation gebracht, da Moni diesen Spruch angeblich nicht drauf hatte. Dort hatte man mich in ein großes Becken mit geweihtem und mit einer Waschlotion versehenem Wasser geworfen und mir dann die Drecks- und Blutkruste abgekratzt. Die Frau mit den Beinen – das war Jaheira gewesen. Auf diese Beine starrte ich auch im Moment, aber ich machte es auf eine geschickte Art und Weise. Ich blickte durch mein Bierglas hindurch, in welchem sich diese Beine auf’s Anmutigste kaleidoskopisch brachen. Kaleidoskopisch. Hhmmm. Kaleidoskopisch... Na, so ganz schien ich immer noch nicht wieder hergestellt zu sein.

Wir befanden uns in der einzigen Taverne am Ort. Wir, das waren Sally, Babydoll, Bayan, Jaheira, Khalid und ich. Khalid war angeblich mit Jaheira verlobt. Ich hätte es eher so ausgedrückt: er war ihr verfallen. Das konnte man sehen an der Art, wie er sie mit Hundeaugen anglotzte, während sie ihn meistens ignorierte oder wie einen kleinen Jungen behandelte. Sie hatte bei ihm den Daumen drauf. Aber sie ließ ihn nicht ran. Darauf hätte ich meine sämtlichen Ersparnisse verwettet.
Ich kannte diese Art von Beziehungskisten. Männer haben Wölfe und Löwen gekillt, sie kämpfen erfolgreich gegen Drachen, Aliens und weniger erfolgreich gegen die Hundescheiße auf den Straßen, sie haben den Weltraum mit ihren Raketen im Griff und können einer tausender Motoguzzi ihren Willen aufzwängen. Aber wenn so ein Violinenform-Popöchen daherkommt und verlockend unter einem viel zu kurzen Kettenhemd hin und herwackelt, dann verläßt sie der Mumm, dann fangen sie an, wie Kleinkinder zu sabbern und machen den Rücken krumm und lassen sich vorführen.
Jaheira war eine von diesen Frauen, die sämtliche Männer in ihrer Umgebung fickerig machen und das genießen und doch allabendlich unberührt in ihr Bettchen hüpfen und mit dem Stofftigern schmusen. Sie hatte das Zeug dazu. Ihre Beine unter dem kurzen Kettenhemd waren phänomenal. Sie hatte halbkurze, brünette Locken und einen sinnlichen Mund, der zum Lutschen prädestiniert schien. Zu allem Überfluß war da ein Leberfleck neben ihrem rechten Mundwinkel. Ihre Augen standen leicht schräg und verliehen ihr etwas Katzenartiges. Wenn sie aufstand, um ein neues Getränk vom Thresen zu holen, dann drehte sie sich auf eine spezielle, schlangenartige Weise in den Hüften, sie umkurvte die herumstehenden Leute und Stühle und Tische auf eine geradezu musikalische Art. Es war kaum zum Aushalten! Eine Epiphanie der Verführung, die Apotheose dessen, was jahrelange Vollwerternährung und regelmäßiges Joga-Joggen bewirken konnten! Die Göttin der Schlampen!
Es war schwierig, sich zu konzentrieren, wenn man auf diese Beine starrte, egal, ob ein Glas dazwischenstand oder nicht. Zum Glück hatte ich Sally und stand also nicht völlig verloren unter Druck, aber es war auch so schwer genug, cool zu bleiben. Khalid hatte keine Sally. Vielleicht hätte sich Moni seiner erbarmt, aber Khalid hatte keine Augen für andere Frauen als Jaheira. Er war ein Gefangener. Ein Sklave. Eine verkorkste Chance.
Wir saßen da und tranken und unterhielten uns über Gorion und die Spinner, denen wir im Wald begegnet waren. Jaheira wollte wissen, wie die ausgesehen hatten.
„Groß!“, meinte Sally. „Groß, schlank und dunkelhäutig.“
„Und bärtig. Sie hatten lange Bärte.“, fügte Bayan hinzu.
„Na und, was besagt das schon!?“, warf Moni ein. „Alle Welt trägt heutzutage Bärte!“
„Das ist bedenklich.“, meinte Jaheira und machte dabei ein versonnenes Gesicht. Khalid glotzte sie an.
B-b-b-b-bedenkli-li-li-lich? W-w-w-wieso?“
„Es könnte sich um einen Terroranschlag gehandelt haben.“
„Wie kommst du auf Terroranschlag?“, wollte Sally wissen. Ihre Stimme hatte einen leicht gereizten Unterton und ich entschied mich, mal woanders hin als auf den Rand von Jaheiras Kettenhemd zu gucken.
„Es paßt alles. Groß, dunkelhäutig und bärtig. Und dann wird Gorion getötet. Gorion war ein engagierter Streiter für die Gleichberechtigung der Orks und Gnolle. Er kämpfte für die Versöhnung der Rassen und trat für eine Entspannungspolitik gegenüber Menzoberranzan und Amn ein.“, erklärte Jaheira. Ich verstand nur Bahnhof.
„Kapier ich nicht.“ Moni verstand auch nur Bahnhof.
„Ja, seit ihr denn gar nicht auf dem Laufenden?“ Jaheira guckte uns der Reihe nach mit ihren Scheinwerferaugen erstaunt an. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich an der Reihe war.
„Klär uns doch auf, Katzenauge!“, zischte Bayan, dem die Erwähnung von Dunkelhäutigen, Gnollen und Menzoberranzan nicht zu gefallen schien.
„Ja, hattet ihr denn keine Marktschreier in Kerzenburg? Habt ihr nichts mitgekriegt von dem Selbstmord-Anschlag auf den Großen Deumel im Hafen von Baldurs Tor?“
Unseren Gesichtern war zu entnehmen, daß wir wohl tatsächlich noch nichts davon gehört hatten.
„D-d-d-da ha-ha-aben die f-f-f-fiesen D-d-d-d...“, begann Kahlid zu erklären. Doch Jaheira unterbrach ihn:
„Laß mich mal erklären, Kahlid, dann dauert’s nicht den ganzen Abend.“
Khalid nickte ergeben.
„Also Folgendes: Vor sechs Wochen haben einige Drow einen Linienflugdrachen gekidnappt. Sie drohten, die Flughäute des Drachen mit Teppichmessern zu zerschneiden und brachten ihn so unter ihre Kontrolle. Sie verbanden ihm die Augen, sodaß er sich beim Fliegen nur noch auf ihre mündlichen Anweisungen verlassen konnte. Dann zwangen sie ihn, Bombelbeeren und weiße Bohnen zu fressen. Ihr wißt alle, welch fatale Auswirkungen Bombelbeeren in Verbindung mit weißen Bohnen auf das Verdauungssystem von Drachen haben können. Normalerweise ergibt das explosive Fürze, was sich die Groß-Agrarier von Süd-Faerun zunutze machen, um so ganze Wälder schnell und effektiv zu roden. Das Timing der Drow war perfekt: Noch bevor der Drache die sich in seinem Magen sammelnden Gase nach hinten rauslassen konnte, hatten sie ihn über den Hafen von Baldurs Tor navigiert. Dort steuerten sie ihn direkt in den großen Deumel, das Wahrzeichen von Baldur’s Tor. Beim Zusammenprall wurde der Linienflugdrache (samt seinen Passagieren) sozusagen verdichtet, sein Hals schob sich, wie Experten nacher ausgerechnet haben, nach hinten durch wie ein Kolben in einem Verbrennungsmotor. Dadurch entstand in seinem Magen ein Druck von mehr als 20000 bar. WUMMS!!! Die Explosion war verheerend, der ganze große Deumel wurde einfach weggesprengt. Die davonfliegenden Trümmer regneten über das gesamte Stadtgebiet hernieder. Selbst der Herzogspalast wurde beschädigt.“
Wir waren alle wie paralysiert. Als sie WUMMS! gesagt hatte, war sie zur Verdeutlichung aufgesprungen und dabei hatte ihr Busen unter dem Kettenhemd eine anbetungswürdige Bewegung vollführt, die mich an den Gesetzen der Schwerkraft zweifeln ließ. Der ganze Kram mit dem großen Deumel oder den furzenden Drachen hatte mich weniger gefesselt als beispielsweise Moni.
„Wie?!“, rief die Lilliputanerin,“ Der große Deumel ist zerstört? Dieses herrlich schlank emporragende Gebäude? Dieses Wahrzeichen nicht nur von Baldurs Tor sondern der gesamten freien Welt? Welch ein Unglück! Der große Deumel wurde einst von uns Zwergen gebaut, er war eine Auftragsarbeit, wie wir noch nie eine bekommen hatten. Er war so hoch wie die Berge, in welchen Boldrin III wohnte. Ein mächtiger Zwergenkönig mit einem legendären Drenglszurksw! Nach diesem Drenglszurksw war der „Große Deumel“ (denn das ist die Übersetzung vom zwergischen Drenglszurksw) geformt. Er stand für die Potenz der Wirtschaftsmacht von Baldurs Tor, er symbolisierte für uns den Glanz der Geschäfte, die aufgerichtete Freiheit, den erigierten Frieden, die Schönheit des Goldes...“
Moni war am Boden zerstört.
„Schlimme Sache, das!“, meinte ich mitfühlend. Mein Bier war alle. Ich stand auf, um mir ein neues zu holen. Der Kneipenbesitzer war ein Schwager von Jaheira und deshalb konnten wir alle frei essen und trinken. Ich fand’s sehr gemütlich hier.

Mittwoch, März 19, 2014






Unfreiwilliger Aufbruch



Es war eine nette Zeit. Sally und ich, wir paßten gut zusammen. Tagsüber arbeitete sie und ich schlief aus. Nachmittags kam sie dann nach Hause und brachte dabei immer ein paar Flaschen Wein oder auch Gin mit, den wir uns mit Wasser und Zitronensaft streckten. Wir tranken ein paar Stunden lang, bis ich dann abends scharf wurde. Nun wurde ausgiebig gefickt und danach weitergetrunken. Meist pennte Sally vor mir ein, weil sie ja am nächsten Morgen wieder zur Arbeit mußte. Während ich weitertrank, um mich von den ersten Vögeln zum Sonnenaufgang in den Schlaf singen zu lassen. Es war das Paradies auf Erden. Ab und zu stieg ich schon mittags aus dem Bett und latschte ein wenig in der Gegend rum, auch wenn es immer ein ziemlicher Akt war, die Strickleiter runter- oder hochzuklettern.
Bei Kerzenburg – so hieß der Ort, an dem ich gelandet war – handelte es sich um ein verschlafenes Nest, genauer gesagt um eine ringförmig befestigte Anlage mit hohen Mauern drumrum. Innen drin war ein zweiter Mauerring. Wahrscheinlich konnten sich so die feinen Pinkel, die es hier in der Gegend gab, bei einem Angriff von außen in diesen zweiten Ring zurückziehen und die Türen abschließen, um dann drinnen die guten Sachen allein auszutrinken, bevor man sie massakrierte. Da jetzt aber Frieden war, konnte man überall in der Burg herumspazieren, auch innerhalb dieses zweiten Ringes. Oft standen dort ein paar religiöse Freaks, die Lieder sangen oder Predigten hielten, welche kein normaler Mensch nachvollziehen konnte. Manchmal setzte ich mich ins Gras und hörte ihnen zu. Es beruhigte mich, nicht der einzige Wahnsinnige in dieser Welt zu sein.
In der östlichen Gegend von Kerzenburg gab’s einen Tempel mitsamt Priester. Dieser Priester hatte ein langes blau-rotes Gewand an. Auf seiner Nase saß eine große, dunkle Warze, aus der fünf dicke, spiralige, schwarze Haare wuchsen. Man konnte bei ihm auch Medikamente zum Beispiel gegen Dünnpfiff oder Kater kaufen. Nur fehlte mir dafür leider das Geld. Der Priester hieß Jonny. Ich unterhielt mich oft mit ihm, denn es kam kaum Kundschaft in seinen Laden. Jonny war die meiste Zeit deprimiert, was an dem allgemeinen Werteverfall und der gottlosen Jugend lag. Er war traurig über den Autoritätsverlust seiner Kirche. Die Leute wollten keinen geistigen Rat mehr, sondern nur noch Präservative kaufen. Das ging ihm ziemlich an die Nieren.
„Weißt du, Hank,“ sagte er zu mir, „in der letzten Zeit geht alles den Bach runter. Früher habe ich mit den Menschen über Gott geredet, man interessierte sich für die höheren philosophischen Fragen. Man konnte über Ethik und deren Begründung in der Erkenntnistheorie debattieren. Mein Wissen um die verborgenen Geheimnisse, die Wundertaten meines Gottes und den richtigen Weg, zu ihm zu finden, war gefragt. Mütter brachten ihre neugborenen Kinder zu mir, auf daß ich sie segnete. Die Männer baten mich um Auskünfte über die kommende Erntesaison. Ich durfte ihnen aus dem Flug der Vögel oder dem Gekröse der Opfertiere das Wetter und den Tod des reichen Erbonkels vorhersagen. Junge Paare berieten sich vor ihrer Hochzeit mit mir, die Politiker befragten mich vor schweren Entscheidungen und wenn die Armee in den Krieg zog, durfte ich sie als Instrumente der Gerechtigkeit weihen, ihnen einen festen Platz im Himmel reservieren und die Feinde verfluchen. Ach herrjeh, was waren das für schöne, aufwühlende Predigten, die ich den Soldaten hielt! Feurig waren meine Reden und sehr überzeugend. Meistens haben wir dann ja auch gewonnen. Das waren noch Zeiten! Heute kommen die Leute nur noch zu mir, wenn sie was gegen Hämorrhoiden brauchen oder eine extra große Vorratspackung Viagra. Ich sage dir, Hank, es geht bergab. Meinst du nicht auch?!“
„Yup!“, sagte ich dann, „Die ganze Choose geht langsam aber sicher in’n Arsch, da bin ich ganz deiner Meinung. Hast Du vielleicht noch ein Gläschen von diesem süffigen alten Gebräu für mich übrig?“
Und in der Regel schenkte Jonny mir dann ein, und ich hörte ihm weiter beim Jammern zu. Wenn Jonny richtig in Fahrt kam, dann zitterten die fünf Haare auf seiner Nasenwarze, als stünden sie unter Strom, während ich den Meßwein in kleinen Schlucken schlürfte.

An ihren freien Tagen machte Sally gemeinsam mit mir Spaziergänge in der Nähe Kerzenburgs. Wenn das Wetter gut war, steckten wir uns ein paar Sixpacks ins Inventar (ich hatte meinen Rucksack tatsächlich vorn im Eingang zu Winthrops Schenke gefunden) und zogen an den Strand zum Picknick. Das waren grandiose, seidengewandete Momente! Wir lagen auf unseren Handtüchern, die wiederum auf dem weichen, weißen Sand der Schwertküste lagen. Die Wellen plätscherten sich eins. Hier und dort guckte mal ein neugieriger Fisch aus dem Wasser und winkte uns zu. Möwen, Strandläufer, Papageien und sonstige Meeresvögel schaukelten in der Brise wie besonders vornehme Mobilés. Die Sonne brannte uns auf den Pelz und entzündete tausend kleine Feuer in Sallys Haaren. Wir pimperten ab und zu im Rhythmus der Brandung, knackten die eine oder andere Dose, und dann standen wir auf und spielten Haschmich mit Naßspritzen. Ich wackelte mit meinem haarigen Arsch, fiel absichtlich ins Wasser dort, wo’s flach war, gröhlte schmutzige Lieder und tat auch sonst noch so manches, um Sally zum Lachen zu bringen. Denn wenn Sally lachte, noch dazu bei gutem Wetter, dann war das, als hätte man eben gerade nen Liter Ambrosia runtergezischt und würde nun dem Gesang eines Engels lauschen. Eines Engels mit endlos langen Beinen, prallen Brüsten und bezaubernden Sommersprossen auf der Nase. Man schmeckte in solchen Momenten die schimmernde Ewigkeit auf der Zunge, und diese Ewigkeit hätte nach meinem Geschmack gar nicht lang genug sein können. Wenn wir ausreichend getobt hatten, warfen wir uns erschöpft und noch vom Meereswasser beglänzt wieder auf unsere Handtücher und unterhielten uns. Oft redeten wir dann auch Stuß.
„Hey, Sally, weißt Du eigentlich, daß ich total verknallt in dich bin? Das habe ich bisher noch nicht sehr vielen Frauen erzählt.“
„Naja, mir erzählen die Männer das mindestens jeden zweiten Tag. Aber ich liebe dich trotzdem, Hank!“
„Siehste Sally, und genau da komme ich irgendwie nicht mit. Ich bin ein alter Knacker, der zur einen Hälfte aus Aknenarben und zur anderen aus Bierbauch besteht. Ich hab Haare am Achtersteven und bin jeden Morgen verkatert. Wie kann man so ein Jammerbild denn lieben?“
„Naja, du bist vielleicht nicht der Schönste, aber das stört mich nicht weiter. Ich liebe deine Art, über die Menschen zu schimpfen. Ich mag deinen Gang, deine Offenheit, deine blödsinnigen Witze, die Art, wie du dir Zigaretten anzündest und daß du den Rauch durch die Ohren rauspusten kannst. Du bist ein großartiger Künstler. Deine Gedichte sind ehrlich und haben Drive. Deine Short-Stories zeigen die Welt, wie sie ist und reden nicht um den heißen Brei herum. Außerdem kenne ich niemanden, der es einem so gut wie du mit der Zunge besorgt!“
Solche Komplimente bauten mich mächtig auf, und ich bemühte mich, ihnen auch zu entsprechen. Was meine Zungentechnik anging, so glaubte ich Sally. Das war eine der wenigen Sachen, die ich wirklich beherrschte. Mit den Gedichten und Short-Stories sah die Sache ein wenig anders aus. Ich hatte Sally meine alten Arbeiten zu lesen gegeben, die seltsamerweise ebenfalls in meinem Inventarrucksack gelegen hatten. Aber seit ich hier war, hatte ich nichts Vernünftiges mehr zustande gebracht. Ich redete mir ein, das läge daran, daß ich jetzt mit Feder und Tinte statt mit der Schreibmaschine schreiben mußte, aber bei Licht betrachtet wußte ich: dies war eine billige Ausrede.
In Wirklichkeit fiel mir nichts mehr ein. Ich hatte keine Ideen. Alle guten Pointen, die mir in den Sinn kamen, verbriet ich, wenn ich mit Sally zusammen war, in Gesprächen. Aller Witz, alle Geistesgegenwart bot ich in diesen Gesprächen auf, da blieb kaum mehr was zum Schreiben übrig. Die Frau saugte mich geistig aus, und ich wußte nicht, ob mir dieser Blowjob gefallen sollte. Andererseits war das im Augenblick auch unwesentlich. Ich litt nicht besonders unter meiner Schreibschwäche, hätte vielleicht ganz auf’s Schreiben verzichten können, wenn nicht Sally gerade mein Schreiben so an mir gelobt hätte.
Um ihr zu gefallen, setzte ich mich also manchmal an den Tisch in ihrem fünfeckigen Zimmer, scheuchte Lawrence vom Papierstapel und schrieb ein paar Sätze hin. Sally verbot ich, diese neuen Sachen zu lesen. Ich erzählte ihr, es handele sich um einen neuen Roman und den bekomme sie erst zu lesen, wenn er fertig sei. Denn bei unfertigen Sachen könne ich Kritik einfach nicht ertragen, also müsse sie sich schon noch ein wenig gedulden.
In Wirklichkeit handelte es sich aber nicht um einen Roman, sondern um haufenweise Anfänge für irgendwelche Short Stories. Die aber waren immer so schlecht und uninspiriert, daß ich nach wenigen Sätzen keine Lust mehr hatte, ihren Plots weiter zu folgen und unnütz meine Kräfte zu vergeuden. Wenn Sally nach Hause kam, packte ich dann die bekritzelten Seiten zusammen, stopfte sie in meinen Rucksack und wendete mich solchen Dingen wie Sallys warmen Händen und Ohren und Haarspitzen zu...
Alles in allem war es jedenfalls eine wunderbare Zeit. Ich kriegte alles, was ich mir nur je vom Leben erwünscht hatte. Ich streckte meine Beine aus, ließ die Seele baumeln und schwang im Einklang mit den Vibes des Universums.

Oben indes saß Gott, schaute sich das ein Weilchen an, wurde immer skeptischer, verschränkte die Arme über der Brust, machte ein muffeliges Gesicht, trippelte mit den Fingern... Und irgendwann hatte er die Faxen dicke. Vielleicht flogen die Vögel etwas tiefer als sonst, vielleicht hätte Jonny mich warnen können. Aber ich fragte ihn nicht.

Sonntagabend kam Sally später als sonst von der Arbeit. Als sie wie üblich durch’s Fenster kletterte, hatte sie keinen Gin dabei, dafür aber rot verheulte Augen.
„He, Sally-Babe, mach dir nichts draus!“, wollte ich sie beruhigen, „Wir haben noch ne halbe Flasche von gestern, das reicht doch für den Abend, oder?“
„Du mieser, gefühlloser Klotz, du dreckiger, alter Mann, du fauler, stinkender Bastard!“, heulte Sally los, griff sich Lawrence von Arabien und schloß sich mit ihm auf’m Klo ein. Was war denn hier los? Ich klopfte an die Klotür: „Ey, Sally, what’s up? Biste auf’m miesen Trip, hat dir jemand was Verkehrtes ins Crack gemischt, oder was ist? Mach mal die Tür auf, das strengt einen an, durch fünf Zentimeter dicke Eichenbohlen zu brüllen!“
Die Tür sprang auf und Sally flitzte an mir vorbei, warf Lawrence in eine der fünf Ecken, schmiß sich auf die Matratze und vergrub ihren hübschen Kopf unter einem Kissen.
„Aber Baby, Baby, woher diese Trauer?“ Ich tätschelte die Stelle des Kissens, wo ich ihren Hinterkopf vermutete. „Was ist denn so Schlimmes passiert, willste’s mir nicht sagen? Komm schon, dem alten Onkel Hank kannst du doch - ...“
Schlangenhaft schnell kam sie unter dem Kissen hervor und blitzte mich an.
„Der alte Onkel Hank kann mir mal im Mondschein begegnen! Was Schlimmes passiert ist, willst du wissen? Ich lebe seit Wochen mit einem antriebslosen, stinkenden Penner zusammen! Mit einem Typen ohne jeden Ehrgeiz, der nicht mal seine Drinks selbst finanzieren kann! Ich verschwende mein Leben an einen Versager! Alle anderen Frauen in Kerzenburg lachen über mich! Du kriegst überhaupt nichts auf die Reihe, Hank! Du wohnst bei mir, du trinkst meinen Gin, du schaffst deinen Arsch immer erst nachmittags aus den Federn und hängst dann sofort angeschlagen in den Seilen! Wo ist dein Mumm, Hank, wo ist dein Pep, wo sind deine verschissenen Visionen? Du schaffst es ja nicht mal, dir jeden Tag die Zähne zu putzen. Und ich muß für dich meinen Arsch herhalten!“
„Och komm, Sally, ich mag deinen Arsch ja ganz gern, aber gezwungen habe ich dich noch nie zu etwas...“
„Verdammt, Hank, kapierst du denn gar nichts?! Nicht dir halte ich meinen Arsch hin, sondern solchen Stinkstiefeln wie dem tatterigen Ulraunt!“
„Wiebitte? Ich verstehe immer nur Ulraunt... Du – du meinst… DU LÄSST DICH VON DIESEM GREISEN KUTTENPFRIEMEL PIMPERN?!!!“
„Ich ließ, Hank, ich ließ! Was denkst du denn, woher das Geld für die Miete hier kam, oder wer den Gin bezahlt hat, hä? Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß man als freischaffende Meisterdiebin in einem kleinen Nest wie Kerzenburg existieren könnte, oder? Sag mal, wie naiv bist du eigentlich? Natürlich hab ich mich von Ulraunt ficken lassen, und noch von einer ganzen Reihe anderer werter Herren hier in der Umgebung. Und das alles nur, um mit dir zusammenleben zu können. Mit dir, einem arbeitsscheuen Verlierer, einem Schmarotzer am Arsch der menschlichen Gesellschaft! Aargh! Wie konnte ich nur so naiv sein! Aber das ist jetzt aus und vorbei, jawohl! Ich lasse mich nicht länger ausbeuten! Wenn du Gin willst, dann besorg dir selber welchen! Und wenn du irgendwo pennen willst, dann miete dir meinetwegen ein Zimmer bei Winthrop!“
„Oh, Sally, Baby, das kannst du nicht ernst meinen? Ich hab keinen roten Heller, wie soll ich mir da was zu Trinken besorgen? Ich bin Künstler, Baby! Künstler können nicht arbeiten wie andere Leute, ich brauche die Inspiration und Muße, um etwas Großartiges hervorzubringen...“
„Was Großartiges hervorbringen? DASS ICH NICH LACHE!!! Meinst du, ich sei nicht nur naiv, sondern auch noch blöd? Meinst du, ich wüßte nicht, daß du seit Monaten nix mehr auf die Reihe gekriegt hast? Meinst du, ich glaube dir den Scheiß mit dem langen Roman, den du angeblich am schreiben bist? Das soll ein Romanmanuskript sein, das da in deinem Rucksack vor sich hin knittert? Damit kann man sich nicht mal vernünftig den Hintern abwischen! HANK, WILLST DU MICH VERARSCHEN? Du bist nicht nur ein Versager, du bist obendrein noch ein verlogener Versager! Ich hasse dich! Ich will dich nie wieder sehen! Ich zieh zu meiner Mut-... Ich will, daß du hier ausziehst! SOFORT!!!“
„Sally, du hast in meinen privaten Sachen rumgeschnüffelt? Das ist aber ein eindeutiger Vertrauensbruch. Ich finde, du solltest dich ent- ...“
„Das hier ist meine Bude! Was hier drin rumliegt, ist meine private Sache, und in der schnüffele ich, so viel ich will, kapiert?! Du hast mein Leben ruiniert und willst mir was von Vertrauensbruch erzählen? Steck Dir dein Vertrauen ins haarige Hinterteil! Du hast mich schamlos ausgenutzt. Ich muß mich so für dich genieren vor den anderen Frauen! Immer, wenn ich bei Winthrop einkaufen gehe, tuscheln sie...“
„Naja, aber doch nur, weil du immer soviele Flaschen auf einmal...“
„Erzähl mir nicht, warum die tuscheln! Du bist nie dabei! Du liegst hier auf der Matratze, furzt sie voll und machst dir einen schönen Tag! Und wenn ich dann ganz kaputt und erschlagen heimkomme, dann besorgst du’s mir nicht mal richtig!“
„WIEBITTE!? Ich besorge es dir nicht richtig? Gestern noch hast du meine grandiose Zungentechnik in höchsten Tönen gelobt!“
„Gestern war gestern. Heute ist heute. Mir reicht das mit dir eben nicht mehr. Du bist ein Versager, und von einem Versager kann ich mich nicht befriedigen lassen. Du bringst es einfach nicht mehr. Dir sind deine Träume abhanden gekommen, du hast keine Pläne für die Zukunft. Ich will aber eine Partnerschaft mit Zukunft, ich will einen Mann, auf den ich mich verlassen kann, der nicht davon abhängig ist, daß ich meinen Hintern für ein paar Flaschen Gin meistbietend versteigere! Ich hatte mir mit dir eine schöne Zukunft erhofft, ich wollte Kinder, ein Häuschen im Grünen, einen roten Zweitwagen...“
„Aber Sally-Babe, das wollte ich doch ebenso!“, log ich.
„Dann tu verdammt nochmal etwas dafür! Komm mir nicht immer nur mit Versprechungen und albernen Witzen! Dieses Leben hier ist erstmal vorbei, klaro? Ulraunt hat verlangt, mich von dir zu trennen, ansonsten bin ich ihn als Stammfreier los. Ich hasse diesen klebrigen Schleimbeutel, ich habe ihm ins Gesicht gesagt, daß er mich mal kreuzweise kann, und dazu stehe ich auch. Aber jetzt ist Ebbe im Portemonnaie, und ich habe jetzt keine Lust, zur Kasernenmatratze der Kerzenburg-Wächter zu avancieren. Wenn ich diesen Holzkopf Hull nur sehe und mir vorstelle, mit dem... Nee, nicht mit mir! Also wird nun gespart, und die erste Einsparung besteht darin, daß Du hier rausfliegst! Suche dir einen Job, bringe es zu was Anständigem im Leben, dann kannste meinetwegen wiederkommen...“
Ich redete mit Engelszungen auf sie ein. Dachte mir alle möglichen falschen Versprechungen aus, um sie umzustimmen. Es half nichts. Schließlich, als sie anfing, mich mit leeren Flaschen zu bewerfen und nach meinen Schienbeinen zu treten, kletterte ich unbeholfen an der Strickleiter raus. Sie warf mir das nahezu leere Inventar hinterher, dann hörte ich ihr Fenster knallen und stand mal wieder in der Dunkelheit, ohne zu wissen, wohin.

***
Wer nicht weiß wohin, geht erstmal in eine Bar.
„Hi Winthrop! Schenk mir mal nen Doppelten ein, den brauch ich jetzt.“
„Leck mich, Hank! Ich brech dir lieber ein paar Finger, dann kannste dich rektal besser kratzen.“
„Hör mal, mir ist jetzt nicht nach Witzen zumute! Mach mir ein Glas voll und halt deine Koberschnauze!“
„Am besten brech ich dir gleich den Arm, dann kommste ohne Probleme hoch bis zum Dünndarm!“
„Okay, gehn wir nach hinten?“
„Gehn wir.“

Normalerweise prügelten wir uns immer erst am Ende einer langen Saufnacht, Winthrop und ich. Zuerst trank ich so zehn, zwölf Whisky on the rocks, pöbelte ein paar von Winthrops Gästen an und am Schluß gingen wir dann hinten auf den Hof und trugen es aus wie richtige Männer. Es waren manchmal sehr gute Kämpfe. Winthrop war zwar ein echter Schmierkäse, aber er hatte Mut und als Rechtsausleger einen verdammt deftigen linken Uppercut. Ich war trotz meiner Bierplautze immer noch ein Stückchen wendiger und schneller als er und solange es nicht zum Infight kam, konnte ich mich sehr gut gegen ihn halten. Wir hatten schon manche schöne Vorstellung abgeliefert. Mal siegte Winthrop knapp, mal brachte ich es fertig, erst nach ihm zu Boden zu taumeln.
Am heutigen Abend lief es nicht so gut für mich. Wir waren beide noch stocknüchtern, doch während dies für Winthrop ein Vorteil war, nahm mir der klare Verstand den Schneid. Ich konnte klarer erkennen, worauf ich mich da gerade eingelassen hatte. Winthrop wog bestimmt vierzig Kilo mehr als ich, seine Unterarme hatten vom vielen Bierzapfen eine Art Keulenform bekommen. Wir standen noch gar nicht richtig draußen, keiner hatte ein Zeichen für den Kampfbeginn gegeben, da rammte er mir schon eine dieser Keulen mit Schmackes auf die Leber. Ich wollte zur Seite umkippen, da zirkelte er mir die zweite Keule von links auf die Nieren. Ich hielt mir nach Luft schnappend die Seiten und suchte einen Platz, wohin ich mich zum Sterben niederlegen konnte. Doch sogleich packte Winthrop mich mit beiden Händen an den Ohren, riß meinen Kopf herunter und ließ ihm sein rechtes Knie entgegenschnellen. Als meine Nase und seine Kniescheibe sich trafen, konnte ich der Entstehung einer neuen Galaxie aus der ersten Reihe beiwohnen. Mein Blut düngte den Hinterhofboden.
„Oh Mann, Chinasky, du bringst es echt nicht mehr!“, meinte Winthrop, wickelte seine Hemdsärmel wieder runter, drehte sich um und wollte wieder reingehen, um seinen Job als Barmann auszufüllen. Doch ich war noch nicht fertig mit ihm.
„Winthrop, ich vögel nachher deine Frau und deine Töchter, bis ihnen der Glibber aus den Ohren quillt!“, informierte ich ihn im Aufstehen.
Er drehte sich um: „Ach, tatsächlich? Du brauchst einen Nachschlag?“
Ohne meine Antwort abzuwarten, knallte er mir mit seinem eisenbeschlagenen Stiefel vor’s Knie. Irgendetwas knirschte. Vielleicht meine Zähne, als ich vor Schmerz schielend nach der angemessensten Art Schrei suchte. Winthrop trat auf mich zu, zielte mit der Rechten genau zwischen meine Augen. Doch ich war schnell genug, diesen Angriff zu blocken, indem ich beide Arme vor’s Gesicht riß. Das gab ihm die Gelegenheit, mit seiner Schlaghand eine Punktlandung auf meinem solar plexus hinzulegen. Gern hätte ich Gedärme gekotzt.
Ich kroch auf allen Vieren und untersuchte interessiert, in welche Richtung sich der Boden unter mir drehte.
Winthrop beugte sich zu mir runter: „Na, Chinasky, reicht’s dir jetzt? Weißt du, ich habe keine Lust, dir den Arsch noch weiter aufzureissen, das stinkt immer so ekelhaft...“
„Winthrop!“ stöhnte ich,“Deine Frau wird quieken vor Freude, wenn ich ihn ihr in den Hintern stecke...Wir werden es in dem großen, hellblauen Schlafzimmer deines Reihenhauses machen, die Wände werden erzittern und die Nachbarn sich wundern...“
„Manche kapieren’s nie!“, meinte Winthrop resigniert. Er packte mich an den Haaren, schleifte mich bis zur Wand, knallte meine Stirn ein paarmal dagegen und stopfte mich dann kopfüber in einen der herumstehenden Abfallkübel. Es stank bestialisch. Ich wollte schlafen. Doch Winthrop zog mich wieder raus aus dem Müll, trat mir ein bißchen in die Rippen und beugte sich dann zu mir herunter:
„Ach übrigens – deine Pöbeleien waren auch schon mal origineller und geschmackvoller.“
Ich hatte Blut im Mund und es fiel mir daher schwer, mich genau zu artikulieren:
„Und wenn ich mit deiner Frau fertig bin, dann gehe ich rüber zu deinen...“
Er nahm meinen Kopf und rubbelte mit ihm, die Nase nach unten, ein wenig über den steingepflasterten Boden.
„Wenn du meine Frau oder meine Kinder noch einmal erwähnst, werde ich dir sämtliche Zähne rausbrechen und dafür sorgen, daß du sie einzeln runterschluckst, bevor ich dich an die Hunde verfüttere. Und das ist diesmal kein Witz, okay? Also – halt’s Maul, blute hier noch ein wenig vor dich hin, und wenn ich morgen früh den Müll rausbringe, dann möchte ich von deiner miesen Visage hier nix mehr sehen. Sonst vergesse ich, daß in Kerzenburg eigentlich das Totschlagen untersagt ist. Haben wir uns verstanden, Mister Chinasky?!“
„Reihenhausfuzzy!“
„Okay, ich glaube, er hat’s geschnallt.“, sagte Winthrop zu den paar Zuschauern, die sich unseren Kampf angeschaut hatten und wohl anfingen, sich zu langweilen. Ich hörte, wie sie reingingen und dabei lachten. Dann deckte ich mich mit dem Fußboden zu und ließ meine Seele ein bißchen durch’s Universum kreisen.
Es mußte schon weit nach Mitternacht sein, als ich geweckt wurde. Natürlich durch einen Fußtritt. Der Fuß kam mir bekannt vor, doch erst, als ich hochschaute, erinnerte ich mich an seinen Besitzer. Der Mond warf sein bleiches Licht auf noch bleichere Haare, unter denen eine Niggervisage, schwärzer als die Nacht um uns herum, mich aus violett leuchtenden Augen anstarrte.
Oh, hi, Bayan soundso! Wie geht’s uns denn so, alter Schwede? Lange her, daß ich das Vergnügen hatte -...“
„Stinkendes Bleichgesicht Chinasky!“, meinte er und zeigte damit, daß er auch mich wiedererkannte, „Ich bekomme noch ein Goldstück von dir. Sicherlich hast du das nicht vergessen, und zahlst deine Schulden jetzt gleich und zwar bar...“
Er ließ auf eine widerlich irritierende Weise einen Dolch propellerschnell in seiner Hand kreisen. Mir wurde schon vom Zusehen schwindelig und mein Mageninhalt klopfte an, ob er mal kurz vor die Tür treten dürfe?!...
„Hör mal, Bayan, Bruder im Geiste, ich würde dir gern sofort sämtliche Schulden dieser Welt mit Zins und Zinseszins zurückzahlen. Aber da ist leider ein kleines Problem mit meiner Kreditkarte aufgetreten. Der Bankautomat hat sie heute geschluckt. Sicherlich nur eine Verwechslung, weil ich die Geheimnummer falsch eingegeben hatte! Aber nun stehe, äh, nein, liege ich ohne Bargeld da...“
Der Drow beugte sich zu mir herunter und seine violetten Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Paß auf, Bleichgesicht! Es macht mir keinen Spaß, einen Mann, der nicht mal mehr richtig zum Liegen imstande ist, aufzuschlitzen. Wir aus dem vergessenen achten Hause da‘i Baiornne pflegen unsere Feinde auf ehrliche Weise zu foltern, die sollen auch was davon haben... Du stinkst dermaßen, daß ich mein Messer beschmutzen würde, käme es deinem faltigen weißen Arsch auch nur zu nahe. Damit will ich sagen: Ich gebe dir noch eine Chance. Du wirst jetzt aufstehen, dich waschen, und dann in einer Stunde vor der Bibliothek stehen. Dort wird ein alter Mann auf dich warten, der dir was bezüglich einer Reise zu sagen hat, die wir gemeinsam antreten werden. Ist das soweit in dein matschiges Hirn vorgedrungen?!“
„Ich glaube schon...“
„Gut. In einer Stunde, denk dran! Ich warte nicht gern...“

Es gelang mir, ohne von den anderen Gästen oder Winthrop selbst bemerkt zu werden, mich in die Toilettenräume der Kneipe zu stehlen. Der Typ im Spiegel schien mir irgendwie bekannt, zumindest einer weitläufig verwandten Spezies anzugehören. Ich zwinkerte ihm mit dem weniger verschwollenen Auge zu und hielt dann meinen Kopf unter den Wasserhahn. Jemand stupste mich von hinten an. Ich drehte mich um.
Oh, hi, Babydoll Moni! Wie läuft’s denn so!”
„Bist du das, Chinasky?“
„Wie hast du mich erkannt?“
„Gar nicht. Deswegen frage ich ja. Sag mal, hast du gerade die Inspektion eines Lindwurm-Magens hinter dir? Du siehst so verdaut aus...“
„Is’ne etwas längere Story, Moni. Mein letzter Fight mit Winthrop ist nicht ganz nach Plan verlaufen...“
„Dachte ich mir schon. Na, egal. Soll ich dich heilen?!”
„Hast du denn Ahnung von medizinischen Fragen? Ich dachte, du wärst auf Blowjobs spezialisiert...“
„Och, ich bin doch Klerikerin! Da ist das gar kein Problem. Halt mal kurz still!“
Sie stellte sich vor mich hin, murmelte ein paar seltsame Laute, zog aus den Falten ihres unförmigen Umhangs einen kleinen Beutel hervor, aus dem sie mit zwei Fingern etwas Pulver entnahm, warf dies über mir in die Luft und pustete mir dreimal ins Gesicht. Ihr Mund hatte wohl schon länger keinen Zahnbürstenbesuch mehr erlebt. Doch obwohl sie höllisch aus dem Hals stank, fühlte ich mich plötzlich besser. Viel besser! Ich sah verwundert in den Spiegel. Anstelle des blutüberströmten Aliens schaute mich aus ihm nun mein eigenes Gesicht an! Ohne zerbeulte Nase, die Augen nicht zugeschwollen, die Zähne beinahe vollständig versammelt. Es war ein Wunder!
„Babydoll, du bist ein Schatz! Das – das ist unglaublich! Wie hast du das gemacht? Ich fühle mich wie ein junger Gott! Ich könnte alle Jungfrauen des Reiches schwängern! Wie kann ich dir nur danken?!“
„Och“, meinte sie, „Ist doch halb so wild. Schließlich sind wir jetzt ja in einer Party, oder? Das war doch der Grund, weswegen du hergekommen bist, nicht wahr, daß wir jetzt endlich mit unserer Party losziehen!“
Ach ja, da war sowas gewesen. Dunkel erinnerte ich mich eines Verprechens, das ich Moni damals am Tag meiner Ankunft in Kerzenburg gegeben hatte. Sie war so eine Art zweihundertjähriges, bärtiges Partygirl.
„Ja, also, Moni... Das mit der Party, das ist so’ne Sache. Weißt du, dummerweise habe ich eben gerade diesen blonden Nigger getroffen, du weißt schon, Bayan sowieso. Dem schulde ich immer noch ein Goldstück und er hat vor, mir das notfalls aus den Eingeweiden rauszuschneiden, wenn ich ihn nicht in einer knappen halben Stunde draußen vor der Bibliothek abhole. Irgend ein alter Mann hat mir irgendwas zu sagen, meinte er und – naja, weißt du, Moni, der Typ hat so eine unangenehme Art, mit seinem Taschenmesser herumzuspielen...“
„Na, das ist doch Klasse!“, jubelte Babydoll, „Der alte Mann vor der Bibliothek – das ist doch Gorion. Dann geht’s also tatsächlich endlich los, ja?“
„Gorion? Wer soll das denn sein?“
„Na Gorion, dein Ziehvater eben! Sag mal, du bist jetzt schon ein paar Monate hier in Kerzenburg und kennst dich immer noch nicht aus?“
„Scheint wohl so.“
„Na, egal. Wenn Gorion auf uns wartet, dann sollten wir uns beeilen. Komm schon!“
„Hä? - ? - ?“
Gorion war ein alter Knacker, der Probleme hatte, weil ihm beim Sprechen andauernd seine dritten Zähne verrutschten. Er nannte mich immer nur sein „liebes Kind“, obgleich ich mir aus verschiedenen Gründen sicher war, daß es sich bei ihm nicht um meinen Vater handeln konnte.
„Ah, schön, dich zu sehen, mein liebes Kind! Ich sehe, du hast einige Gefährten um dich versammelt. Das ist gut so, denn der Feind lauert schon und jeder Beistand wird dir von Nutzen sein. Die Zeit drängt, Kerzenburg ist nicht länger sicher... So laßt uns denn aufbrechen, am besten sofort jetzt, in der Nacht, damit niemand unsere Flucht bemerkt...“
„Äh – Gefährten? Flucht? Ich verstehe immer nur Bahnhof...“
Bayan trat nah an mich ran und zischte mir mit zusammengebissenen Zähnen zu: „Halt’s Maul und komm mit, verstanden?“ Ich sah etwas Blankes in seiner Hand wirbeln und entschloss mich zu verstehen.
Hull, der Holzkopf, den Sally so wenig ausstehen konnte, öffnete uns das Burgtor, und weil mir nichts anderes übrig blieb, trottete ich ergeben den drei Witzfiguren Gorion, Bayan soundso und Babydoll Moni hinterher. Was sollte das wohl werden, wenn’s mal fertig war?

***

Es war kalt, es regnete etwas, und man sah die Hand vor Augen nicht. Immer wieder trieb Gorion uns an: „Rasch, rasch, wir müssen uns sputen! Wir wollen versuchen, den Freundlichen Arm so schnell wie möglich zu erreichen.“ Doch er zuckelte so langsam dahin, daß selbst die Pilze des Waldes uns zügig überholen konnten. Ich fand diese ganze Unternehmung reichlich dämlich. Was hatte ich hier mitten im Wald zu suchen, bei so einem gichtfördernden Wetter, im Dunkeln, zusammen mit einem blonden Niggerpsychopathen, einer bärtigen Schwanzlutscherin und einem ausgeflippten Parkinsonfall? Ich fror an den Füßen, ich spürte die ersten Anzeichen von Alkoholentzug und wünschte mich zurück in die fünfeckige Bude, um mich an Sallys wundervoll duftendem Arsch zu wärmen. Was sollte dieser schwachsinnige Schulausflug?
Während ich so vor mich hinfluchte, war ich wohl etwas zurückgefallen. Jedenfalls hörte ich vorne plötzlich jemanden sprechen, dessen Stimme ich bislang noch nicht gehört hatte. Da schien noch eine andere Horde von Idioten durch die Gegend gestiefelt zu sein, und wir waren zufällig auf sie getroffen. Ich hatte keine Lust, mich hier im Wald mit irgendwelchen fremden Leuten zu unterhalten. Also setzte ich mich auf einen mit Moos bewachsenen Baumstumpf unter ein paar schützende Tannenzweige, lugte hinaus in den Nieselregen und kümmerte mich nicht weiter um das, was unser selbsternannter Führer Gorion, dieser zahnlose Cicero, mit den Fremden zu bereden hatte. Vor allem, da es sich so anhörte, als bekämen sie miteinander Streit.
Alter Mann, gib mir dein Bündel!“
„Hol’s dir doch, wenn du dich traust!“
„Ey Chef, welches Bündel? Ich denke, es geht hier um ein Mündel...“
Hat dich jemand gefragt, du Depp?! Wenn du nochmal dazwischenquasselst, gibt’s was mit dem Zweihänder...
„Okay, okay, ich bin still wie eine Maus!“
Wollt ich dir auch geraten haben! Also, nun zu dir, Opa, wie sieht’s aus, rückst du bald rüber mit dem Kleinen, oder muß ich ungemütlich werden?
„Laß den Kleinen in Ruhe, der hat dir nix getan. Wenn ihr, du und deine triefäugigen Spießkumpane, nicht bald Land gewinnt, dann wird Meister Gorion mächtig sauer, kapiert?“
Ich mach mir vor Angst in die Hosen!
„Dann paß auf, daß es unten nicht rausläuft! Die sind nämlich schon randvoll.“
Schade, alter Mann, daß du mich zwingst, gegen meine pazifistische Grundeinstellung zu verstoßen!
„Stoße dir eins, wie du willst, aber verkrümel dich endlich, wir wollen weiter.“
„Ey, Chef, darf ich jetzt endlich zuhauen?“
Du redest nur, wenn du gefragt bist, ich möchte das nicht nochmal wiederholen müssen!
„Okay, okay, ich bin still wie eine Maus...“
Also – was ist jetzt?
„Was ist jetzt wie?!“
Ja oder nein?!
„Das könnte dir so passen!“
„Entschuldigung!“, mischte sich eine Stimme ein, die zu Babydoll Moni zu gehören schien, „Könnten wir diese Unterhaltung nicht später fortsetzen? Wenn wir weiter hier im Regen rumstehen, frier ich mir noch meine Möpse ab.“
Genug mit den Präliminarien! Gib dein Mündel raus, oder es setzt was!
„Chef, was sind Prälimidingsda?“
Halt’s Maul!
„Okay, okay, ich bin still wie eine...“
„Kommt gar nicht in die Tüte, mein Mündel bleibt bei mir und ich mach mich jetzt vom Acker. Schönen Tag noch!“
Halt, so kommst du mir nicht davon. Rück das Mündel raus, oder ich polier dir die Beißleiste!“
„Na, dann komm her und versuch es!“
Wenn du mich zwingst, mach ich das wirklich!“
„Kein Problem, ich warte!“
Reize mich nicht bis zur Weißglut!
„Reiz, reiz, reiz!“
Arrgh!!!
„Chef, ich hab nicht richtig verstanden. Heißt das jetzt soviel wie: Zum Angriff, ihr tapferen Mannen?!“
SAG MAL, KÖNNTEST DU NICHT BITTE FÜR EIN PAAR WENIGE SEKUNDEN MAL DEN RAND HALTEN?!
„Oka, okay, ich bin still wie...“
„Wenn ich mich vielleicht vorstellen dürfte, ich bin Bayan da‘i Baiornne aus dem achten vergessenen Hause von...“
Was mischt sich dieser schwuchtlige Nigger denn jetzt noch mit ein?!
„Ich verbitte mir solch eine Beleidigung! Ich bin Bayan da‘i Baiornne, ein tapferer Drow, der jedem, der ihm dumm kommt, ein Zungenpiercing appliziert, daß sich bis zum Rektum fortsetzt!“
Na, mein Süßer, da bin ich aber mal gespannt...
„Chef? Dauert das noch lange? Ich muß nämlich mal...“

Irgendwann mußte ich eingeschlafen sein. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich unweit von mir auf einer Lichtung ein paar Büschel im Laub liegen. Mein Kopf schmerzte, der Entzug hatte mich inzwischen so richtig auf seine Hörner gespießt. Ich hatte Schüttelfrost, in meinem Mund einen Geschmack wie von verrotteten Mistkäfern, und von oben ditschten mir kalte Tropfen auf die Dauerwelle. Als ich mich erhob, quietschten und krachten alle zur Verfügung stehenden Gelenke protestierend. Ich schleppte mich rüber zu den Büschen. Babydoll-Moni lag da wie notgezüchtigt, mit verkokeltem Bart und verrutschtem Helm. Aber sie schien noch zu atmen. Neben ihr lagen zwei riesige Basketballspieler-Kadaver. Sie atmeten nicht mehr. „Alle Achtung!“, dachte ich, „Die hat Moni sich aber tüchtig zur Brust genommen!“
Ein paar Meter entfernt entdeckte ich einen weiteren Kadaver. Es war der des alten Knackers Gorion. Er atmete ebenfalls nicht mehr. Das hätte ihm auch kaum geholfen, denn seine Brust war mit mehreren Schnittwunden versehen, die bis runter auf die Wirbelsäule gingen. In diesen Lungen hätte sich Luft nicht lange gehalten. Er tat mir leid. Eigentlich hatte ich ihn ganz sympathisch gefunden mit seinen klappernden Dritten. Vielleicht wären wir dereinst Freunde geworden...
Das sah mir insgesamt nach einer hitzigen Diskussion aus, die hier gestern noch stattgefunden haben mußte. Irgendwie war ich froh, mich da rausgehalten zu haben. Ich sah mich desorientiert um und kratzte mich am Steiß. Was sollte ich nun tun?

„Hank! Hank, mein Liebster!“, schall es plötzlich zwischen den Bäumen hervor. Ich drehte mich um. Sally kam angerannt. Sally, meine süße, kleine, knackärschige Sally, die mit den duftenden roten Haaren und den unglaublichen Innenkurven!
„Hi Baby, was machst du denn hier mitten in der Taiga!?“
„Oh Hank, es tut mir so leid, wie ich mich gestern benommen habe, ich war irgendwie verwirrt und hatte meine Tage und die Schuhe waren zu eng und...“
„Schon gut, Kleines. Reg dich ab. Schau mir in die Augen! Hör mal, Süße, der olle Hank ist nicht sauer. Hatte mich ja tatsächlich nicht gerade wie ein Rittersmann benommen.“
„Oh Hank, ich hatte solche Angst um dich! Ich habe überall nach dir gesucht! Jonny erzählte mir, Winthrop hätte dich am Abend in die Mangel genommen und vielleicht tot geschlagen, und dann sagte jemand was, daß du mit Gorion und zwei anderen losgezogen seiest und ich wußte nicht, wohin ihr gegangen seiet und keiner konnte mir helfen und... WER IST DIESE FRAU?!“
„Hä?!“ Ich drehte mich um. „Ach so, die meinst du... Schön, daß du aufgewacht bist, Moni. Meine Damen, darf ich vorstellen: Sally – das ist Babydoll Moni, eine Klerikerin mit Bart. Moni – das ist Sally, eine Meisterdiebin ohne Bart und die Frau, die ich liebe. Na, ich glaube, ihr habt euch schon mal gesehen, oder?!“ Und, zu Moni hin, zwischen den Zähnen raunend, damit Sally es nicht hörte: „Das mit dem Blowjob damals, das vergessen wir mal, okay?!“

Doch die beiden hörten mir überhaupt nicht zu. Sie standen sich gegenüber, jeweils die Hände in die Hüften gestützt, und spielten Mitblickenzusteinverzaubern. Ich überließ sie ihrem Damenkränzchen und ging wieder rüber zu Gorion. Er sah wirklich nicht gut aus. Schade um seine schöne Robe. Die war aus Samt und Seide und hatte bestimmt ein Vermögen gekostet, selbst im Sommerschlußverkauf. Ich überlegte, daß es meine gute Christenpflicht sei, den armen alten Breiesser zu begraben, damit ihn nicht die Raben und Eichelhäher noch weiter zerpflücken konnten. Ohne große Hoffnung schaute ich mich nach einem Spaten um.

Dienstag, März 18, 2014






Die Ankunft

Nimm dir einen beliebigen Gegenstand und laß ihn fallen. Wo landet er? Genau, du Schlauberger, unten. Und so kam auch ich da an, wo eigentlich die meisten meiner Wege enden. In einer Bar.

Ich zog den Bauch ein, drückte die Brust raus und bewegte mich mit der Geschmeidigkeit eines rachitischen Seesterns Richtung Theke, an der noch zwei, drei Verlierer meiner Kragenweite rumhingen. Unterwegs wurde ich von der Erkenntnis überrascht, plötzlich wieder bekleidet zu sein. Ich hatte ja schon befürchtet, mir wie der Terminator von irgendwelchen Rockern ne Kutte borgen zu müssen. Da hatte der große Regisseur wohl Erbarmen gehabt oder nur keine Lust, sich von Cameron irgendwelche Tricks abzugucken. Noch nie war ich über meine vergammelten Shorts und das uralte Shirt so froh gewesen wie jetzt. Hey Hose, hallo Hemd, viel zu lange nicht mehr gesehen, wie geht‘s, hab euch vermißt! Zusammen mit den beiden kehrte auch mein alter Mumm zurück. Ich war voll in meinem Element. Das hier war eine Kneipe, ich war Hank Chinasky. Das Wasser und sein Fisch.

Der fettfingrige Kerl, der am Zapfhahn stand, sah aus, als wär er schon vor der Empfängnis für diesen Job konzipiert worden. Ihr wißt schon, er hatte diesen speziellen Barmixer-Blick drauf, der einem auf zehn Meter ansieht, welche Biersorte man bevorzugt. Er begrüßte mich.
Hi, deine Visage kenn ich noch nicht. Zum ersten Mal dabei?“
Yep.“
Kann noch ne Weile dauern, bis ihr eine komplette Party zusammen kriegt, um die Zeit geht kaum jemand online. Willst du‘n Drink, während du wartest?“
Kann nicht schaden. Hab aber leider keinen Penny bei mir.“
Das is schlecht.“
Yeah.“
Ich würd dir ja gerne anschreiben, bin schließlich kein Misantropf oder wie die Dinger heißen. Aber weißt du, na ja... - bist zum ersten Mal hier, und der Boss von dem Laden hier sieht das nicht so gern, falls du verstehst, was ich meine. Ich sag mal, wenn der jetzt reinkommt und merkt, daß ich dir eins ausgebe, dann kriegt der nen Anfall. Der setzt mich sofort wieder auf die Straße, und das wär echt mies, verstehste? Ich brauch den Job hier. Hab ne Frau und drei Kinder und die Hypotheken auf das Reihenhaus sind noch nicht abgestottert.“
Sapperlot, Alter, gleich drei Kids?“
Jau, drei von der Sorte. Ein Junge und zwei Mädchen. Aber hey, umgekehrt wär‘s mir nicht lieber gewesen.“
Kann ich gut nachvollziehen.“ Ich nickte verständnisvoll.
Weißt du, wenn ich die drei Blagen nicht hätte und meine Alte, und das Reihenhaus und den Kombi auf Anzahlung und die Risikolebensversicherung und diese ganzen Verpflichtungen, dann wär mir egal, was der Boß sagt. Dann würd’ ich dir hier einen einschenken, und nicht zu knapp. Schließlich sieht man dir an, du bist einer, der seine Trinkschulden begleicht. Ja, nee, nee, ich kenn mich da ein bißchen aus, ich weiß, wem man trauen kann, Kumpel, und bei dir bin ich mir da hundertprozentig sicher. HUNDERTPROZENTIG! Aber wie gesagt…“
„… der Typ, dem der Laden gehört, ist dagegen.“
Du sagst es. Ich meine, wenn du Stammgast oder so wärst, dann sähe die Sache anders aus, Stammgäste können hier ohne Probleme anschreiben lassen. Aber ich kenn dich schließlich nicht, oder?“
Da is was dran.“
Ja, nix zu ändern.“
Hhm.“
Sag mal, wie heißt du überhaupt?“
Hank.“
Hank. Und weiter?“
Hank Chinasky.“
Ich heiße eigentlich Thomas Winston Harry Porter, aber alle nenen mich nur Winthrop. Hank, ich bin erfreut, dich kennen zu lernen. Hier meine Hand!“
Ich seh aber kein Bier in dieser Hand.“
Oh Hanky-Boy, komm schon! Sagte doch, mein Chef, der ist echt kleinlich in solchen Sachen.!“
Der Typ tat mir leid. Er war’n armseliges, kleines Arschloch, und das Traurige daran war, daß er’s gar nicht realisierte. Ich gab ihm also die Hand.
Okay Winthrop, nett dich kennenzulernen. Wo kann man hier shiffen?“
Winthrop deutete nach links.
Einfach dem Geruch nach. Kannst es gar nicht verfehlen. Und wundere Dich nicht über Babydoll Moni, die hat zwar nen Hau, tut aber keinem was.“
Babydoll wer?!“
Wirst sie schon nicht verpassen…“

Babydoll Moni war ein abgebrochener Typ, der vorne bei den Waschbecken in der Pißabteilung abhing und gerade dabei war, sich vor dem Spiegel Lippenstift in den Bart zu schmieren.
Während ich meine ein, zwei Liter abstellte, quatschte er mich von der Seite an.
Hallo schöner Abenteurer, ich bin Moni. Wie isses, machen wir zusammen ne Party auf?“
Winthrop lag ganz richtig, Moni hatte garantiert ne weiche Birne. In meinem Leben war ich noch nie schön genannt worden, und das hatte seine Gründe.
Ich bin grad nicht so in Feierstimmung, Babydoll. Vielleicht ein andermal.“
O, Jesses, Maria und dreimal gequirlte Orkkacke!“, quakte er. „Nie will einer mit mir losziehen, nur weil ich ne Frau bin!“
Nimms nicht so tragisch, Babydoll, es wird schon noch der Richtige für dich vorbeikommen.“
Den Spruch kenn ich schon, du hälst dich wohl für originell, was? Es wird nie der Richtige vorbeikommen! Seit ich hier bin, ist noch nie ein Zwergenkerl durch diese Tür gekommen, noch nie! Ich glaub fast, Zwerge gehen überhaupt nicht online.“
Da kenn ich mich nicht so mit aus.“
Ich schon, glaub mir. Was ist – nimmst du mich mit, wenn ich dich mal an meine Titten ranlasse?“
Hör mal, Moni, das ist‘n nettes Angebot, aber ich bin heute nicht so in Stimmung, weißte?“
Oder ich blas dir einen, da bin ich große Spitze drin!“
Nee laß mal, ich muß rüber, mein Bier wird sonst kalt.“
Ach verdammt!“

Zurück an der Theke fragte ich Winthrop:
Hör mal, seit wann bildet sich dieser Moni denn ein, er sei ne Ische?“
Die bildet sich das nicht ein, die ist eine.“
Paß auf Winthrop, mir kannst du keinen Bären aufbinden! Ich hab hier noch nix zu trinken gekriegt, bin also vollkommen klar im Kopf, und in dem wiederum habe ich Augen. Ich weiß, was ich auf‘m Klo gesehen habe. Das war’n Einsfuffzichtyp mit ’nem Bart, der ihm bis zum Bauchnabel reichte. Da langt dann ein bißchen Lippenstift nicht als Verkleidung.“
Winthrop grinste.
Man merkt, daß du zum ersten Mal hier bist. Zwergenfrauen haben genauso wie Zwergenmänner Bärte. Hättest sie mal etwas genauer checken sollen.“

Ich zurück zur Pinkelabteilung.
Moni, schätze, ich sollte mir doch mal deine Möpse angucken.“
Nimmst du mich dann mit in deiner Party?“
Hhmm -.“
Na gut.“
Der Typ fummelte unter seinem Bart an der Jacke rum, dann kämmte er seine Barthaare zur Seite, und was da zum Vorschein kam – naja, keine Frage, das waren definitiv Titten. Zwar nicht preisverdächtig, sondern ziemlich faltig, ledrig und eher inSpritztüten- als in Apfelform. Aber Mutter Natur ist eben nicht immer in Topform.
Du bist wirklich ne Frau?“, wollte ich wissen.
Hat wer was anderes behauptet?“
Nö.“
Und, was nun?“
Ich finde, man soll mitnehmen, was man kriegt.
Ich hab‘s mir überlegt, wenn du mir einen bläst, dann äh – dann machen wir zusammen eine Fete.“
Ich hab keine Lust auf Feten. Ich will in eine Party.“
Ist doch das gleiche, oder?“
Nicht, daß ich wüßte.“
Für mich schon.“
Versprochen? Du nimmst mich mit in deiner Party?!“
Jaja, klar, kein Problem, Party, Fete, was immer du willst.“
Okay. Wir sind im Geschäft.“
Babydoll Moni langte sich meinen Truthahnhals raus, und er verschwand in diesem Dickicht von Bart. Sie brauchte sich kaum runterzubeugen, und zugegebenermaßen machte sie es gar nicht schlecht. Kannte sich aus, hatte diese spezielle Technik, wußte, worauf es ankam.
Hey, Babe, du hast das richtig drauf!“
Zweihundert Jahre Übung, das zahlt sich aus...“
Nachdem ich gekommen war, wischte sie sich den Glibber mit einem Papierhandtuch aus dem Bart. Irgendwie kam mir das fehl am Platz vor. Das Papierhandtuch, meine ich. Moni taxierte mich.
Du hattest es aber ganz schön nötig, was?“
Solche Portionen sind bei mir normal.“
Okay, aber denk an deinen Teil der Abmachung. Wenn ihr loszieht, bin ich mit dabei.“
Klar doch.“
Gibst du mir dein Ehrenwort?“
Was immer du willst, Moni-Babe.“

Zurück an der Theke bemerkte ich, daß inzwischen noch ein paar andere Typen in die Bar gekommen waren. Zwei hippiemäßige Knäblein, noch gar nicht richtig trocken hinter den ziemlich spitzen Ohren, sowie ein Schwarzer mit wasserstoffblonden Haaren und absolut coolem Outfit. Er stand allein an einen Holzpfosten gelehnt, und mir schien es so, als wenn ihn keiner im Raum ausstehen konnte. Winthrop, der den schwuchteligen Jungs gerade irgendwelche bonbonfarbenen Coktails rüberreichte, drehte ihm absichtlich den Rücken zu. Nur, um ihn nicht bedienen zu müssen.
Außenseiter sind mir immer sympathisch, also ging ich zu dem Typen rüber.
Hallo Kollege, was geht so ab?“
Mein Name ist Bayan da‘i Baiornne, Mitglied des vergessenen achten Hauses von Tayonerranzan. Sucht Ihr vielleicht noch Männer für Eure Gruppe, Fremder?“
Ah – ja. Also...hhmm. Kannst mich Hank nennen. Wie kommste darauf, daß ich zu irgendwelchen Männergruppen gehe?“
Eurem Sinn für Humor kann ich leider nicht folgen, Oberflächenbewohner. Solltet Ihr es Euch indes anders überlegen, so wisset, daß ich der beste Bogenschütze der Drow bin und mein Bogen Snorpaenre, der Bote der Stille, ist gefürchtet von Tiefwasser bis Calimhafen. Wenn Ihr zu Eurer Fahrt aufbrecht, so wisset, ich bin bereit, auf Eurem Wege für eine Weile zu wandeln.“
Hhm. Scheinst ein echt harter Brocken zu sein. Aber die Jungs da drüben machen den Eindruck, als könnten sie dich nicht ausstehen. Warum?“
Die Waldelfen aus dem Süden verabscheuen uns Drow. Sie sehen nur meine Hautfarbe.“
Tja, diese Rassisten, nicht auszurotten. Gandhi, Martin Luther King oder Malcom X, alles für die Katz. Die Südstaatler werden‘s nie kapieren. Aber der Typ an der Theke muß dich bedienen, das steht so im Gesetz. Wenn du willst und ein paar Mäuse rausrückst, besorg ich uns ein Bier.“
Er langte in eine Tasche seines abgefahrenen Mantels und drückte mir eine einzige Münze in die Hand. Eine Münze nur, aber ich brauchte nicht erst drauf zu beißen, um zu wissen, daß es sich dabei um Gold handelte. Mal was anderes. Na, ich war gespannt, wie Winthrop mir da Wechselgeld rausgeben würde.
Gekonnt ließ ich die Münze so hochschnippen, daß sie sich’n paarmal drehte und fing sie wieder auf. Hier kam Chinasky, um ein Bier zu bestellen und war definitiv locker in den Knien. Plirrrrring! Ich schnippte Winthrop die Goldmünze rüber.
Hey, Kumpel, mach mir doch bitte mal zwei kühle Weizen klar, eins für mich, und eins für meinen Kollegen da drüben, ja?!“
Winthrop blitzte mich aus plötzlich zusammengekniffenen Augen an.
Meinst du mit Kollege diesen Schwarzwichser da hinten? Drow werden hier nicht bedient.“
Was ist das denn bitteschön für eine Rassistenkacke? Schon mal was von Gleichberechtigung gehört? Von Bürgerrechten, von Minderheitenschutz, davon, daß Diskriminierung als Straftatbestand zu werten ist?“
Schon gut, immer locker bleiben! Komm mir nicht mit Bürgerrechten, Grundgesetz und Uno-Charta, ja? Wir sind hier im Cyberspace, da gibt‘s das alles nicht. Hier gelten andere Gesetzte, und eins davon lautet: Laß dich nicht mit den Drow ein.“
Du brauchst dich auch nicht mit ihnen einzulassen. Gib mir einfach zwei Bier und das Wechselgeld raus, der Rest geht dich überhaupt nix an, right?!“
Na gut, ich hab dich jedenfalls gewarnt. Hier sind deine zwei Bier, und hier ist der Rest.“
Er schob mir zwei Maßkrüge rüber, die allerdings etwas sparsam gezapft waren, und ließ eine Hand voll Kleingeld hinterherrutschen. Ich steckte das Geld in die Shorts, griff mir die Gläser und wollte zurück zu dem blonden Nigger.
Eine Rothaarige, die ich vorher noch nicht gesehen hatte, trat mir dazwischen.
Hi Süßer, ich bin die Sally, spendierste mir nen Drink?“
Sah gar nicht wie ne billige Nutte aus. Was für eine Stimme! Was für ein Duft! Was für eine umwerfende... Und ich hatte meinen Saft bei Moni vergeudet! Es ist doch immer so, nicht wahr?! Jahrelang herrscht Dürre, man fragt sich schon, ob man ihn überhaupt noch hochkriegen würde für den Fall, daß. Und dann plötzlich – pladder, pladder! – schüttet es wie aus Eimern, um im Bild zu bleiben. Frauen, wohin du guckst. Das Ganze nennt sich dann Ironie des Schicksals, aber es sind die Götter, die sich zynisch einen drauf abwedeln, wenn sie sich solche „Zufälle“ ausdenken. Na, diese Braut schien ohnehin eine Liga höher als ich zu spielen, mit ihren Designer-Beinen und so.
Sorry Baby, aber ich muß da rüber zu einer geschäftlichen Besprechung. Keine Zeit, mich zu amüsieren. Ein andermal vielleicht.“
Wenn du mir einen ausgibst, geh ich mit deiner Party mit.“
So langsam dämmerte es mir, daß man hier eine leicht modifizierte Sprache benutzte. Alle Welt erzählte einem was von Partys, mit denen man gehen könne, statt auf sie oder zu ihnen zu gehen. Da mußte etwas Wichtiges dahinterstecken, wenn alle nicht anderes im Kopf hatten. Leider kriegte ich von solchen komplizierten Reflexionen immer Sodbrennen. Warum nachdenken, wenn man sich etwas einfach erklären lassen kann?
Sag mal, Sally-Babe… Alle hier erzählen mir was von Partys und so. Ich raff das nicht so richtig. Was genau versteht ihr hier unter ‚Party‘?“
Na das übliche eben, was soll die Frage denn nu?“
Schon klar, das übliche. Aber ich bin neu hier, hab den lokalen Slang noch nicht so drauf, verstehste? Erklär doch einem armen, alten Fahrensmann mal, was ihr hier unter Party so versteht.“
Naja, eine Gruppe eben, mit der man durch die Gegend zieht. Is doch logisch, oder?“
Yeah, das macht Sinn. Und warum sprecht ihr dann nicht von Gruppen, sondern von Partys?“
Weil das so im Handbuch steht, klar?!“
Ah - ja, das is‘n Argument.“
Ich wollte sie stehen lassen, um zu meinem edlen Spender zu gelangen, aber sie hielt mich am Arm fest: „Was is nun, willst du mich in der Party haben oder nicht?“
Nö, danke, ich habe nicht vor, durch die Gegend zu ziehen.“
Wirst du aber müssen.“
Hä? Wieso müssen? Wir leben in einem freien Land ohne Sperrstunde, da kann mich keiner zu irgendwas zwingen.“
Na, dann erklär mal Deinem Drow-Liebling, wieso du kein Wechselgeld mitbringst…“, grinste sie mich an.
Und weg war sie.
Zusammen mit meiner guten Laune, denn als ich reflexhaft in die Taschen meiner Bux griff, waren da nur noch ein paar Cracker-Krümel vom letzten Abendbrot übrig. Diese miese kleine Schlampe! Und was meine Reflexe anging... Ich hatte mit beiden Händen gleichzeitig in die Hosentaschen gegriffen und die Bierhumpen vorher abgestellt. Auf solider Luft – wo sie sich nicht allzulange festkrallten, sondern schwungvoll ihren Inhalt auf den Boden und die Füße einiger Umstehender enleerten, um dann fröhlich durch die Gegend zu kullern. Kam sehr gut an, diese Performance. Die Südstaaten-Milchbubis, die ein paar Spritzer abgekriegt hatten, kniffen ihre Augen zusammen und machten einen Gesichtsausdruck Marke Bestattungsunternehmen. Ein bulliger Typ mit rasierter Glatze, der von irgendwoher aufgetaucht war, manipulierte an seinen nietenbesetzten Armbändern rum und ich konnte mir eben diese Nieten – lange, spitze Dinger, mehr Stacheln als Nieten – schon lebhaft in den Zwischenräumen meiner eh schimmeligen Zähne vorstellen. Am meisten Sorgen bereitete mir im Moment aber der blonde Freak, der einfach zu relaxed an seinem Holzpfosten lehnte, die Arme verschränkt, und mit seinen violetten Guckern zu mir rüberlinste. Ich kannte diese Positur genau, die hatte ich schon dutzende Male gesehen, bevor man mir ne Abreibung verpaßte. Es war diese Was-soll-ich-mich-da-groß-erregen-ich-krieg-deinen-Schwanz-auf-jeden-Fall-zu-fassen-Geste, es war diese Lässigkeit, die ihn vor den anderen Amateuren als Profi auszeichnete. Als der Glatzkopf und die Milchbubis Anstalten machten, ohne weiteren Kommentar auf mich loszumarschieren, piff der blonde Blacky kurz, wie wenn er einen Hund zu sich rufen wollte, und machte eine kurze Bewegung mit zwei Fingern, die die Lyncharmee mitten in der Bewegung stoppte.
Dieser Mann gehört Bayan da‘i Baiornne!“, sagte er leise, so zwischen den Zähnen hindurch.
Die Milchbubis und der Glatzkopf guckten sich reihum an. Als sie sahen, daß sie strategisch in der Unterzahl waren, gaben sie’s auf und drehten sich zu ihren Getränken um. Niemand hier schien Drow zu mögen, aber anlegen mußte man sich nicht gleich mit ihnen.
Ich schätzte den Weg bis zum Ausgang ab, kam jedoch zu dem Schluß, daß ich dafür auf jeden Fall länger brauchen würde als das Wurfmesser, das in Bayans Hand gerade so herumschaukelte. Also ging ich lieber hin, um ihm die Sache zu erklären.
Hör mal, Kumpel, da hat mich gerade so’ne Rotblonde abgezockt, hast Du das gesehen?“
Ich warte auf mein Bier und das Wechselgeld, Oberflächenbewohner. Und Bayan da‘i Baiornne ist es nicht gewohnt, lang zu warten auf das, was ihm zusteht.“
Yeah, ich weiß. Hör mal Bruder, da stehen wir tatsächlich vor einem Problem...“
Das Problem scheint Ihr zu sein, Bleichgesicht. Wir Drow haben für Probleme eine sehr einfache und effiziente Lösung.“
Okay, okay, Chef, gib mir fünf Minuten. Ich brauch nur nen Moment, um mir dieses Flittchen zu schnappen, eine Sekunde, bin gleich wieder da!“
Bayan da‘i Baiornne wird Euch finden, wenn Ihr versucht, hier einen Abgang zu machen, Veruntreuer des Wechselgeldes! Niemand betrügt einen Sproß des achten Hauses! Auch wenn es inzwischen vergessen ist...”

Wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann ist das Ärger. Da gewöhnt man sich nie so richtig dran, selbst wenn man dauernd welchen hat. Ärger mit Frauen topt den normalen Ärger sogar noch, und Ärger mit unbekannten Rotblonden ist am schlimmsten, dagegen ist Krätze der reinste Grund zum Feiern. Nun gut – lief ich halt mal wieder ner Frau hinterher. Bloß – wohin? Ich wandte mich an die Auskunft.

Sag mal, Winthrop, alter Knabe, hast du vielleicht mitgekriegt, wohin sich dieses süße Sahnestückchen Sally verkrümelt hat?“
Frag doch deinen neuen Kumpel mit dem Tintengesicht, vielleicht kann der dir weiterhelfen. Wozu hat man Freunde?!“
Danke, Bruder, Typen wie du geben einem das Gefühl geliebt zu werden. Hör mal, der Kerl massakriert mich, wenn ich ihm sein Geld nicht zurückbringe!“
Tja!“ Winthrop griente. „Wer sich zu Hunden bettet, darf über Flöhe nicht klagen!“
Danke Bausparfuzzi, du mich auch!“

Hinten in der Urinalabteilung hing Babydoll Moni immer noch vor’m Spiegel.
Hör mal, Moni...“
Geht’s los ? Machen wir uns mit der Party auf’n Weg ?!“
Naja, nen Moment brauch ich noch, ich sag dir rechtzeitig Bescheid okay? Ne andere Frage – kennst du eventuell die Sally, so’ne rotblonde...“ Falsche Frage.
ICH FASS MICH AN DEN KOPF! Ihr Macker seid doch alle gleich! Was wollt ihr nur alle von dieser eingebildeten Schnepfe, ich krieg das überhaupt nicht auf die Reihe!! Diese blöde Tusse, diese Zimtzicke! Eine Nase, daß es reinregnet, so hoch in der Luft, Bussi hier, Bussi da, tüdelüt, tirili! Hach, ich bin die geile Sally, na Süßer, haste schon einen hoch? Hier guck mal, meine Beine, hier mein Popöchen, hach, binnich nicht eine ganz Schnuckelige...“
Moni, ich unterbreche dich ja nur ungern in deiner Karaoke-Vorstellung, aber diese Sally hat mich beklaut und ich hätte gern das Geld zurück, verstehste? Nix mit tüdelüt! Die kriegt ein paar gescheuert! Wenn ich den Kies nicht wiederkriege, dann hängt mir wirklich die Kacke am Stecken und aus unserer Party wird unter Garantie nichts. Also, Babydoll, sei mal ein wenig kooperativ, ja?“
Moni guckte mich skeptisch an.
Du willst sie gar nicht pimpern?“
Großes Indianerhäuptlingsehrenwort!“ Ich kreuzte hinter dem Rücken die Finger.
Du willst diesem Prinzesschen die Visage polieren?“
Wenn sie mir meinen Kies nicht pronto zurückübereignet, dann setzt’s was!“
Okay, das is’n Wort! Ich bin auf deiner Seite. Sally hat gleich nebenan in dem Haus oben ein Zimmer. Da kommste allerdings nicht auf die normale Tour rein. Man muß hier vom ersten Stock raus aufs Dach klettern und dann drüben an der Regenrinne rauf. Das Süßstoff-Mädel hat so’nen Spleen, hält sich für die Königin der Edeldiebe und benutzt grundsätzlich keine Türen, wenn’s auch durchs Fenster geht.“

Im ersten Stock war niemand zu sehen. Ich lugte in eins der Zimmer. Dann in ein zweites. Da schlief ein abgebrochener Bärtiger und sägte, daß die Wände zitterten. Sah aus wie eine Schwester von Moni. Das dritte Zimmer hatte kein Fenster nach draußen. Das vierte Zimmer schon. Aber da drin tigerte auch ein nach teurem Deo duftender Schnösel rum.
Können Sie nicht anklopfen? Was ham Sie hier überhaupt zu suchen? Wenn Sie nicht sofort draußen sind, ruf ich die Wache!“

Ich war sofort draußen. Fünftes Zimmer. Wieder kein Fenster. Dafür stand da eine altmodische Kommode, Kirschholzfunier, Metallbeschläge, Intarsien aus Elfenbein und Ebenholz. Das volle Antiquitätenprogramm. Kein Mensch war auf dem Gang zu sehen. Ich zog am Knauf einer Schublade. Nicht abgeschlossen. Reingucken kostet ja nix. Drinnen lag eine Literflasche mit einem alten Etikett. Schien was ganz Edles zu sein, Cognac vielleicht oder was in der Richtung. Gewohnheitsmäßig steckte ich mir die Flasche ein. Daneben lag ein kleiner Beutel, der oben mit so einem Zugband verschlossen war. Ich prokelte ihn auf. Drinnen in dem Beutel – waren bestimmt zwanzig Goldstücke! GOLDSTÜCKE!!! Die... – die mußte da jemand für mich reingelegt haben. Rockefeller. Rothschild. Onassis. Der Weihnachtsmann. Gott. Da brauchte ich ja gar nicht mehr der hübschen Sally hinterherzuturnen, da hatte ich ja genug Zaster, um...
He da! Bleibe er stehen auf der Stelle!“
Ich weiß wirklich nicht, wo die hergekommen waren, und hätte schwören können, kein noch so winziges Geräusch auf der Treppe oder draußen auf dem Flur gehört zu haben. Sie standen plötzlich neben mir, zwei Kerle, in voller Kampfmontur, Kreuzungen aus Arnold Schwarzenegger und Michael Jordan. Sie versperrten mit ihren breiten Schultern den Weg nach draußen und daher dachte ich, ich sollte mir vielleicht mal anhören, was sie so zu sagen hätten.
Wir sind die Mitglieder der Kerzenburg-Wache, und Ihr, Fremdling, seid des gemeinen Diebstahls angeklagt und überführt! Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung vorzubringen?!“
Die Tür stand offen.“
Ausrede abgelehnt. Ihr könnt wählen: Kopf ab oder her mit allem Geld, welches Ihr bei Euch führt!“
Ich führe, eigentlich und genau genommen, überhaupt kein Geld bei mir.“ Ich hob das Goldsäckchen hoch. „Außer dem hier, aber das lag ja dort in der Schublade, dahinein wollte ich’s auch grad wieder legen.“
Versucht nicht, uns zu täuschen! Ihr habt dreißig Goldstücke in Eurem Inventar, die sind hiermit konfisziert!“
Hä?! Inventar? Wovon redet ihr?!“
Von Eurem Inventar eben.“ Der Wortführer der beiden Wächter schien etwas durcheinander. „In Eurem Inventar wurden dreißig Goldstücke gefunden, welche hiermit beschlagnahmt werden. Jetzt habt Ihr nur noch die Stabschleuder im Inventar.“
Ich versteh nur noch Bahnhof. Was und wo ist denn dieses Inventar?“
Na, Euer Inventar eben! Und es ist dort, wo Ihr es abgelegt habt, vorn am Eingang in die Wirtsräume. Sieht aus wie ein Rucksack...“
Rucksack? Ich hab keinen Rucksack.“
Jeder hier hat einen Rucksack, klar?!“ Der Typ schien langsam ärgerlich zu werden.
Und in diesem meinem Rucksack habe ich dreißig Goldstücke?!“
Hattet. Ihr hattet dreißig Goldstücke. Die gingen eben ins Eigentum des Staates über.“
Ihr seid ja ganz miese Halsabschneider!“
Wenn Ihr wünscht, könnt Ihr auch das haben.“
Neenee, schon gut, immer locker in den Knien bleiben, okay? Das überdenke ich mir lieber nochmal ausführlich.“
Nun gut, wie Ihr wünscht.“ Der andere Wächter schien irgendwie unschlüssig. „Naja – äh – wir gehn dann wieder, okay?“
Nur zu, damit hab ich keine Probleme.“
Wunderbar. Also tschüß dann, ja?! Und möge Helm mit Euch sein.“
Und mit Euch die Cholera!“
Sie waren schon aus dem Zimmer raus, da ging die Tür auf und der kleinere von den beiden, also der unter zwei Meter und zehn, steckte seinen Kopf nochmal rein: „Ach übrigens, nur zur Information: Euer Ruf ist um zwei Punkte auf sechs gesunken. Ihr seid nun unbeliebt.“
Damit beruhigte er mich. Wenigstens in dieser Hinsicht schien alles normal und wie immer.

Das sechste Zimmer endlich war frei und hatte ein Fenster hinaus auf’s Dach. Ich guckte raus. Das Dach war eher so eine Art schmaler Sims, über den man nach rechts rüber auf den entsprechenden Sims des Nachbarhauses gelangen konnte. Wo da eine Dachrinne sein sollte, konnte ich von hier aus nicht erkennen. Es wurde langsam dunkel draußen, und meine Augen hatten wohl die Jahre über auch etwas gelitten unter den Alkoholexzessen und üblen Schlägereien in spärlich beleuchteten Bars. Nur ein Verrückter konnte da rausklettern, auf dieses Frühstücksbrettchen von einem Sims, um sich dann rüberzutasten und nach brüchigen Dachrinnen zu grapschen. Nur ein Spinner, ein Wahnsinniger, ein lebensmüder Volltrottel. Ich drückte die Läden auf und schwang mein linkes Bein auf die Fensterbank. Dann zog ich das rechte nach und und ließ das linke vorsichtig draußen nach dem Dach tasten. Das Dach lag tiefer als der Boden drinnen, ich konnte es nur grad so mit den Zehenspitzen spüren. Trotzdem versuchte ich mein Gewicht darauf zu verlagern, mich aber gleichzeitig an den Fensterläden festzuhalten. Mein Arsch rutschte über den rauhen Stein der Fensterbank, die draußen etwas vorstand, ich blieb an irgendeinem Nagel oder so hängen und riß mir fast den Sack ab. Der Schmerz verlieh mir Schwung, und eine Sekunde später fand ich mich draußen wieder, mit nur einer Hand an der Kante des Dachsimses hängend. Ich schrie wie ein Mastferkel, daß sich für’ne Cheerleaderin hält. Da unter mir gähnte die Dunkelheit. Ich kannte diese Szene, es gab sie ja häufiger im Fernsehen. Nur daß in der Glotze meist hübsche, schlanke Mädels irgendwo dran hingen und oben muskelbepackte Schönlinge darauf warteten, sie zu packen und mit einem beherzten Ruck in’s Happy End zu befördern. Diesmal war es ein fetter, alter Knacker mit gut hundertzehn Kilo, die Hälfte davon Bierbauch, der hier hing. Damit sah die Sache schon anders aus. Ich versuchte, die zweite, linke Hand an die Dachkante zu kriegen. Aber irgendwie schien mein rechter Arm länger zu sein. Um mir die Zeit zu vertreiben, brüllte ich noch ein bißchen lauter herum. Jederzeit sonst wären längst die Bullen wegen Ruhestörung da gewesen. Heute hatten sie ihren freien Tag.

Vielleicht sollte ich einfach loslassen. Hatte der spindeldürre Bubi von der BI-Software nicht gesagt, man brauche bloß Selbstmord zu begehen, um hier raus und wieder in die Realität zu kommen? Die Überlegung erschien mir im ersten Moment verlockend. Doch dann dachte ich an die Realität, die ja kaum einen Deut besser war als das hier, und daß der Typ außerdem was von Datenverlust genuschelt hatte. Also lieber doch nicht loslassen. Ich gab meiner Hand Bescheid, daß sie sich noch ein Weilchen festkrallen solle. Sie lehnte ab und löste sich gegen meinen ausdrücklichen Befehl. Ich rauschte runter. Mein ganzes Leben zog an meinem inneren Auge vorbei. Allerdings nur bis kurz nach meiner Geburt, dann krachte es auch schon und ich rasselte in einen Haufen Gerümpel. Das Vordach war höchstens zweieinhalb Meter über dem Boden gewesen. Ich verstauchte mir einen Fuß und zog mir ein paar lange Schrammen an einer rostigen Harke zu. Es war dunkel, ich konnte nicht erkennen, wo und wie ich genau zum Liegen gekommen war, doch ein alter Instinkt gebot mir, erstmal kurz liegen zu bleiben und die Situation gründlich zu analysieren. Als ich damit fertig war, stand ich auf, knallte mit der Stirn gegen einen Pfosten, taumelte zurück, riß dabei einen Bretterstapel um, griff im Bemühen, das Gleichgewicht zu halten, hinter mich, erwischte eine Kette, die einige hochkant gestellte Bänke zusammenhielt und wurde unter diesem ganzen Zeug begraben. So langsam reichte es mir.
Plötzlich sah ich ein Licht in der Dunkelheit, das sich von den übrigen Sternen und farbigen Schleiern vor meinen Augen durch eine etwas handfestere Präsenz unterschied. Ich justierte meinen Fokus darauf. Das Licht kam aus einem Fenster schräg oben gegenüber. Ein Kopf erschien in diesem Fenster, umgeben von einem feurigen Gloriolenschein erleuchteten Haares.
Hallo?! Ist da jemand?“
Hey, Sally, bist du das?!“
Wer ist da? Wer seid Ihr? Tretet hervor aus dem Schatten, damit ich Euch zu erkennen vermag!“
Können vor Lachen! Ich bin irgendwie eingeklemmt. Wie wär’s, wenn du mich hier mal rauspulen würdest? Wollte dich gerade besuchen kommen!“
Aah! Der kleine Süße Fratz aus Winthrops Wirtschaft auf der Suche nach seinem Kleingeld, wie?“
Sally, du hast es erfaßt. Wärest du jetzt vielleicht so freundlich...“
Einen Moment, bin sofort unten!“
Das Licht in dem Fenster erlosch. Dann hörte ich etwas schrappen, jemand machte sich den Weg zu mir frei. Dann wurden die über mir verkeilten Bänke weggezogen.
Na, wie geht’s?!“, vernahm ich ihre Stimme in der Finsternis, „Noch alles dran am Mann?!“
Naja, bis auf einige lebensgefährliche Frakturen im Rückgrat, die abgetrennten Hände, Füße und Ohren fühle ich mich ganz okay. Sag mal, könntest du hier nicht mal für ein bißchen Licht sorgen? Hast du vielleicht ne Laterne oder Fackel oder sowas in der Richtung?! Nicht, daß du mir hier im Finstern noch auf irgendwelche empfindlichen Stellen trittst!“
Keine Bange, Süßer, wir Meisterdiebe lieben die Dunkelheit! Ich bin voll im meinem Element! A propos,“ meinte sie, „daß ich Diebin bin, weißt du jetzt ja. Aber was ist mit dir? Was ist deine Klasse?“
Ich hustete, weil ich Staub zwischen die Zähne gekriegt hatte.
Meine Klasse?! Naja, um die fünfundneunzig Kilo. Dürfte Schwergewicht sein, oder Halbschwergewicht oder so.“
Nein, nicht deine Gewichtsklasse!“ Sie lachte. „Ich meine: was ist deine Berufsklasse, was machst du so, wenn du nicht gerade in irgendwelchen Schrotthaufen rumkrabbelst?“
Mein Beruf – hhm, naja... Mal hier ein Job, mal da. Mein Geld verdiene ich auf der Rennbahn. Pferdewetten. Eigentlich will ich nur in Ruhe das eine oder andere Gedicht in die Tasten hauen, wenn du verstehst, was ich meine. Oder auch mal ne Short Story...“
Ah – dann bist du also so eine Art Barde, was?“
Kann schon sein“, grunzte ich.
Der Rest des Gerümpels über mir verschwand, und ich tastete in der Gegend rum, kriegte aber nichts interessantes zu fassen.
Du kannst jetzt aufstehen“, sagte sie. „Hast du’s dir inzwischen anders überlegt?“
Anders überlegt? Wovon, zum Teufel, sprichst du?...“
Wegen deiner Party. Bin ich dabei?!“
Ah - ... yep, genau, die Party-Sache. Sag mal, könnten wir das nicht woanders besprechen, vielleicht bei dir oben in der Bude?“
Wollte ich gerade vorschlagen. Hab auch noch was zu trinken da, du siehst aus, als könntest du einen Schluck vertragen“
Du hast einen verdammt scharfen Blick hier in der Dunkelheit...“
Das ist nicht das einzig Scharfe an mir... Komm, laß uns hochgehen!“
Ich mochte sie. So sehr, daß ich sogar die Strickleiter hoch zu ihrem Zimmer emporturnte. Und das bei den Lichtverhältnissen! Sie hatte das Ding natürlich nicht gebraucht, sie war ohne alle Hilfsmittel die Mauer hoch, so wie Ninjas in diesen Hong-Kong-Streifen. Eine Weile brauchte ich schon, bis ich oben war, die Strickleiter baumelte nach links, wenn ich mit dem rechten Fuß eins höher wollte und nach rechts, wenn ich’s andersrum versuchte, aber ich war immer schon ein zäher Kerl gewesen. Aufgeben kommt in meinem Wortschatz nicht vor, jedenfalls nicht, wenn man mir ein ordentliches Glas in Aussicht gestellt hat. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ihre Bude oben machte sofort einen heimeligen Eindruck auf mich. Links neben dem Fenster, sozusagen am Eingang, stand eine Reihe leerer Flaschen, rechts, an die Wand gerückt, ein Eimer mit einem großen Deckel.
Fischsuppe von letzter Woche“, erklärte sie mir auf mein fragendes Gesicht hin. „Den Deckel heb ich jetzt lieber nicht hoch. Winthrop bewahrt immer die Essensreste für micht auf, seit sie nicht mehr an die Schweine verfüttert werden dürfen. Du weißt schon – MKS und so... Ich hab immer einen ordentlichen Bottich am Fenster. Wenn da unten jemand rumsteht und mir dumm kommt, kriegt er eine Portion übergegossen. Das ist wie eine Art Marker, verstehste? Den Gestank kriegt man so schnell nicht aus den Haaren gewaschen, das hält sich Tage lang und ich kann später die Verfolgung aufnehmen, wenn ich zum Beispiel gerade einen Kater habe...“
Klasse Einfall, den merk ich mir.“ Die Frau war definitiv verrückt und das gefiel mir sehr.
Ein Problem ist, daß meine Bude auch danach stinkt, falls der Deckel mal nicht richtig drauf liegt. Und die Fliegen, wenn’s heiß ist. Aber dafür hab ich den hier.“ Sie zeigte auf einen kleinen Holztisch.
Ein Tisch gegen Fliegen?“
Nein! Mann, guck doch mal genau hin! Mach deine verschwiemelten Augen auf! Naaa?!“
Es ist hier ziemlich dämmerig. Ich meine – ah ja, klar doch! Und wie heißt das Tierchen?“
Ich nenne ihn Larence von Arabien. Wegen seiner Augen. Die sind so ausdrucksstark.“
Was an den Augen dieses Chamäleons ausdrucksstark sein sollte, leuchtete mir nicht ein, aber andererseits paßte der Name genauso gut wie jeder andere auch, vielleicht sogar besser als Fifi, Nero oder Bello.
Willst du ihn mal streicheln?“
Nee, laß mal, nachher spuckt der mir noch Essensreste ins Auge!“
Sie lachte. Es lief genau in die richtige Richtung. Inzwischen hatten sich meine Augen an die Düsternis so halbwegs gewöhnt. Ihre Kurven waren phänomenal. Ich ließ mich auf eine Matratze in irgendeiner der Zimmerecken fallen. Dabei fiel mir auf, daß es mehr als vier Zimmerecken gab. Der Raum war fünfeckig.
Hey, dein Zimmer ist fünfeckig!“
Naja, ich bin Diebin und als solche braucht man einen fünften Sinn.“
Ich denke, das heißt: sechster Sinn?!“
Is ja auch egal. Willst du was zu trinken?“
Yep!“
Sie hatte mehrere Flaschen Wein da und das ließ hoffen für die Nacht.
Hör mal,“ sagte sie, „das mit dem Geld, das ich dir abgenommen habe... Du kriegst es natürlich wieder, Ehrensache! Ich wollte nur sichergehen, daß du mich mit in deine Gruppe aufnimmst.“
Warum wolltest du unbedingt sichergehen?“
Naja, mir gefällt dein Gesicht, irgendwie. Und deine Art zu gehen...“
Right. Und mir gefallen deine Beine.“
Wirklich?!
Yeah, ich kenn mich da aus, für Beine habe ich’n Blick. Deine sind echte Ausnahmeexemplare, genau die richtigen Linien und Proportionen und so. Ziemlich sexy.“
Meinst du das ehrlich?“
Beim Augenlicht meiner Mutter!“
Willst du sie mal anfassen?“
Hhm. Schenk mir vorher noch ein Glas ein, sowas muß man mit Bedacht angehen.“
Sie langte mir die Flasche rüber. Ich mochte sie. Der blonde Nigger und Babydoll Moni sollten ruhig noch’ne Weile warten.