Im Freundlichen Arm
Im Freundlichen Arm
Er sah wirklich nicht gut aus. Schade
auch um seine schöne Robe. Die war aus Samt und Seide und hatte
bestimmt ein Vermögen gekostet. Ich überlegte, daß es meine gute
Christenpflicht sei, den alten Breiesser zu begraben, damit ihn nicht
die Raben und Eichelhäher noch weiter zerpflücken konnten. Ohne
große Hoffnung schaute ich mich nach einem Spaten um.
Und richtig: es fand sich weit und
breit kein keiner.
Während ich so überlegte, was nun
anzufangen sei, fiel mir ein, daß ich meinen morgendlichen
Bierschiss noch nicht zelebriert hatte. Mit diesem Gedanken kam der
übliche Druck auf den Darm und ich wackelte mit aneinandergepreßten
Arschbacken rüber zu ein paar kleinen, dichtbeasteten Tannen. Ich
hockte mich dahinter. Keine Sekunde zu spät riß ich mir die Bux
runter, und schon schoß es sprotzend und mit feurigen Fürzen
unterlegt raus. Niemand war gezwungen, hinzusehen. Erleichtert wollte
ich mir den Hintern abwischen – und merkte, daß kein
Toilettenpapier an der Toilettenpapierhalterung an der Wand hing. Ob
dieser Erkenntnis erschrocken fiel ich aus meiner Hocke um. Genau in
das Gemisch, daß ich gerade von mir gegeben hatte. Geschickt rollte
ich nach hinten ab und hatte nun eine mit Tannennadeln verzierte,
braun-feuchte Spur über dem Rücken. Genaugenommen fühlte ich mich
müde.
Bei dem Begräbnis brauchte ich
vielleicht Hilfe. Ich schaute mich nach Bayan um. Er saß auf einem
Felsstein in der Nähe und fummelte an der Sehne seines Bogens herum,
welchen er normalerweise nach Indianerart quer über den Rücken zu
tragen pflegte.
„Ey, Bayan, alter Krieger – wie
wär`s, wenn Du mir ein wenig beim Verbuddeln der Leichen helfen
würdest?“
Er schaute kurz, mit
zusammengekniffenen Augen hoch: „Ich bin nicht dein Nigger,
stinkender Whitey, ich springe nicht für dich und mache die
Drecksarbeit!“
„Ah, yeah...!“
„Seit Jahrhunderten habt ihr Weißen
mich und meine Brüder unterdrückt, wir durften für euch das
Zuckerrohr anbauen in der sengenden Hitze Kubas und uns durch die
rotstaubigen Baumwollplantagen der Südstaaten quälen. Ihr habt
unsere Frauen gepimpert, ihr habt sie euch einfach genommen, von der
Straße weg, wann ihr wolltet! Eure Windpocken haben uns zu
Zehntausenden dahingerafft und ihr habt uns mit Nilpferdpeitschen das
Fleisch in Fetzen vom Rücken geschnitten. Wo meine Brüder zu stolz
waren, da habt ihr ihnen den Kopf mit Whisky und Crack vernebelt und
immer noch sind wir unterrepräsentiert in den Führungsetagen der
Wirtschaft und unsere Musik kupfert ihr auf erbärmliche Weise ab und
unsere Seelen habt ihr...“
„Okay, tut mir leid! Kommt nicht mehr
vor, versprochen! Ehem... na, dann werd ich mal sehen, wie ich allein
klarkomme.“
Ich schaute rüber zu den beiden
Mädels, die sich, Fingernägel ausgefahren, kreischend in den Haaren
lagen. Sally hatte Moni am Bart gepackt und versuchte, die Priesterin
wie beim Hammerwerfen um sich herumzuschleudern. Moni hatte
allerdings etliche Pfunde zuviel angesetzt und lachte nur schrill,
während sie sich bemühte, mit ihren Zwergenknobelbechern der
Meisterdiebin eins vors Schienbein zu knallen.
In einen Streit zwischen Mastinos soll
man sich nicht einmischen. Vielleicht brauchte ich doch keine Hilfe.
Ich suchte mir eine Stelle, wo der
Boden nicht so hart und undurchdringlich aussah. Die oberste Schicht
war aus Moos, kein Problem. Aber darunter wurde es gemeiner. Es lagen
haufenweise faustgroße, spitze Steine im Erdreich verteilt. Ich
kratzte in der Erde mit Gorions Gehstock, der eine eiserne Spitze
hatte. Aber die eiserne Spitze taugte nicht viel. Als ich gerade den
Dreh raus hatte, wie man mit ihr die Erde halb aufbrach und halb
rausschippte, brach sie ab. Weit war die Kuhle noch nicht gediehen.
Mein Rücken protestierte. Mein Atem ging stoßweise. Der Schweiß
suppte mir in Bächen am Körper runter. Zwischendurch mußte ich
mich immer mal kurz aufrichten, das Becken kreisen lassen und tief
nach Luft schnappen. Die Arbeit verursachte mir Schwindelgefühle.
Arbeit hatte mir immer schon Schwindelgefühle verursacht.
Irgendwann war das Loch vielleicht
dreißig Zentimeter tief. Das mußte reichen. Ich zerrte den alten
Mann an seinen Füßen herüber und wuchtete ihn in die Vertiefung.
Bevor ich die zur Seite gekratzte Erde über ihm aufhäufte,
durchwühlte ich seine Taschen. Vielleicht hatte er ja Geld dabei.
Oder etwas zu trinken. Was ich fand, waren ein hübscher Ring und ein
Brief. Er war an mich adressiert.
Chinasky, Du oller Saufsack!
Wenn du das hier liest, habe ich den
Löffel abgegeben. Wahrscheinlich deinetwegen. Keine Ahnung, warum
sie ausgerechnet Dich für die Heldenrolle casteten, irgendwer hat da
einen mächtigen Fehler gemacht. Aber Schlamm drüber, wie der
Lateiner sagt. Ich denke mal, Du steckst momentan bis zum Hals in der
Kacke, und das ist auch gut so. Ich gönn’s Dir. Du bist ein
Ekelpaket. Ein Kotzbrocken. Eine Pestbeule am Arsch der menschlichen
Gesellschaft. Deine Mutter gehört strafweise gevierteilt, denn sie
hätte Dich abtreiben müssen. Nun, die Frau ist leider nicht mehr zu
belangen.
Wie ich mir aber denken kann, hat sich
die kleine Sally, dieses Herzchen, an Dich gehängt, und das allein
ist der Grund, daß ich mir nicht in meinem Grab freudig die Hände
darüber reibe, weil Du vermutlich bald noch viel gewaltigeren Ärger
kriegst, als du ihn jetzt schon an den Hacken hast. Nur weil ich mich
um Sallys Zukunft sorge, gebe ich Dir jetzt ein paar kleine Hinweise.
Erstens: Gucke immer nach links und
nach rechts, wenn Du über eine Straße gehst.
Zweitens: Hüte Dich vor der Polizei,
besonders vor der Sitte.
Drittens: Gehe sofort zum Freundlichen
Arm, gehe nicht über Los, ziehe nicht viertausend Dollars ein. Der
Freundliche Arm ist erstens ein Übersetzungsfehler, zweitens aber
eine befestigte Burg ein paar Reisestunden östlich von Kerzenburg.
Dort müßten zwei Freunde von mir rumhängen, die, wenn Du nett zu
ihnen bist, Dir eventuell einen Drink spendieren. Khalid und Jaheira
heißen die beiden. Ich warne Dich: sei Ihnen gegenüber freundlich,
belästige sie nicht mit Deinen Uraltwitzen und laß Deine Finger von
Jaheiras Möpsen! Sie ist mit Khalid verlobt und der wird Dir die
Fingernägel bis zur Achsel stutzen, wenn Du sie auch nur mit
heraushängender Zunge anguckst!
So, mehr habe ich Dir nicht
mitzuteilen. Jetzt leg mich schon in mein Grab und unterstehe Dich,
hineinzuspucken!
Gorion
Ich rollte den alten Knacker in die
Kuhle. Dann schippte ich den Waldsand drüber. Ich spuckte nicht
hinterher. Ich mochte eine Pestbeule am Arsch der menschlichen
Gesellschaft sein. Jedoch eine mit Stil. Die ausgehobene Erde
reichte. Am Schluß war kein Zipfel von Gorions Mantel mehr zu sehen.
Seinen Stab hatte ich zerbrochen und mit etwas Stoff ein Kreuz daraus
zusammengebunden. Das rammte ich an der Kopfseite des Grabes in die
Erde. Dann stand ich ein paar Minuten da und versuchte, mir eine Art
Gebet oder Grabrede in Erinnerung zu rufen. Ohne Erfolg. Ich kannte
Gorion so gut wie gar nicht. Gemocht hatte ich ihn noch weniger.
„Nil, nisil bene.“, murmelte ich.
Gegenüber saß ein Eichhörnchen in
den unteren Ästen einer großen Fichte und knabberte in Gedanken
versunken an einem Tannenzapfen. Dabei segelten ein paar braune
Flocken runter auf Gorions Grab. Es hatte einen gewaltigen Appetit.
Das Eichhörnchen.
Babydoll und Sally hatten sich
ausgetobt. Ich ging zu ihnen rüber. Bayan war mit dem Rumfummeln an
seinem Bogen fertig.
„Okay, laßt uns endlich losziehen!“,
sagte ich.
„Hank?!“, sagte Sally und
schnüffelte. „Hank, du solltest dich mal wieder waschen. Du
riechst wie ein Hämorrhoid am Rektum der menschlichen Gesellschaft.“
Als wir zwei Tage später immer noch
durch den Wald taperten, war ich mit den Nerven ziemlich runter.
Sally und Babydoll Moni hatten sich gegen mich verbündet. Sie
machten eins auf Frauenpower und feministische Solidarität. Mit
Bayan mochten sie sich nicht anlegen, er hatte wohl den
Geschützteminderheitenbonus. Also hatten sie mich ins Visier
genommen. Sie nannten mich Stinkerchen. Sie lachten über die braunen
Muster auf meinem Hemd. Wenn ich irgendetwas sagen wollte, fragen,
oder vorschlagen, sagten sie: „Ja Stinkerchen? Was möchtest du,
Stinkerchen? Och, was will uns Stinkerchen denn wohl mitteilen?“
Und dann giggelten sie wie Dreizehnjährige Internatsschülerinnen im
Sexualkundeunterricht. Sie hatten es darauf angelegt, mich fertig zu
machen. Obwohl ich ihnen nichts getan hatte. Es zerrte an meinem
Gemüt. Sie ließen nicht locker. Ich konnte mich nicht dagegen
wehren. Und wir hatten nichts zu Trinken dabei.
Daher erschien mir die Silhouette vom
Freundlichen Arm, als ich sie schließlich in der Ferne erblickte,
wie die Mauern des himmlischen Jerusalems. Waschmöglichkeit. Ein
paar saubere Klamotten. Eiskaltes Bier.
Ich sprintete los und ließ die Weiber
hinter mir. Aber es gab leider zwei Türsteher.
„Ey, Stinker, was willst Du hier? Hat
dich jemand eingeladen?“
„Och Jungs, bleibt doch mal ganz
locker in den Knien! Ich bin’s, Hank! Ein müder Reisender, der
hier seine wohlverdienten Münzen in eurem Etablissement ausgeben
möchte.“
„Heute geschlossene Gesellschaft.“
„Ihr wollt mich verscheißern, oder
wie seh ich das?“
Der Kleinere von beiden beugte sich zu
mir runter. Er überragte mich um knapp zwei Kopflängen und hatte
einen altmodischen stählernen Brustpanzer an, in welchem ich mich
auf groteske Weise spiegelte. Sein Atem roch nach Sauerkraut und
billigem Wein.
„Hör mal, Alterchen, und hör genau
zu, denn ich habe keine Lust, mich allzu häufig zu wiederholen. DU
KOMMST HIER NICHT DURCH! Erst vor kurzem ist es uns gelungen, die
Pest im Freundlichen Arm auszurotten, und wir holen sie uns nicht
wieder rein, nur weil es unterhaltsam sein könnte! Verstänkere
woanders die Luft, aber nicht bei uns!“
„Aber ich rieche nicht immer so, ich
muß mich nur mal kurz waschen und dann...“
„Wasch Dich im Meer und zwar dort,
wo’s am tiefsten ist!“
Langsam reichte es mir: „Sagt mal,
ist das überhaupt legal, was ihr hier abzieht? Dies ist eine
öffentliche Burg, und jeder Bürger darf da rein und raus, solange
er sich benimmt. Denk ich mir mal... Ihr betreibt Amtsanmaßung!
Befinden wir uns hier im wilhelminischen Obrigkeitsstaat oder was?
Ihr könnt nicht einfach bestimmen, wer rein darf oder nicht, ich
kenne meine Rechte, jawohl! Ich will sofort den Geschäftsführer
sprechen!“
Der Kleinere tauschte einen Blick mit
seinem größeren Kollegen aus.
„Halt mal kurz!“, sagte er und
überreichte ihm seine Hellebarde.
Doch ich war schneller. Bevor er den
ersten Hieb landen konnte, verpaßte ich ihm einen harten rechten
Haken auf die Leber. Etwas knackte. Mein Zeige- und mein
Mittelfingerknochen. Scheiß Brustpanzer! Er täuschte unten an und
ich riß die Hände vor’s Gesicht. Nein, er hatte doch nicht
angetäuscht und während also meine Hände mein Gesicht schützten,
zog er seine Gerade direkt auf meine Magenkuhle durch. Ich versuchte
reflexhaft, Milz, Leber und sonstiges Gekröse festzuhalten. Da ich
kein Frühstück gehabt hatte, kam es mir auch nicht hoch, statt
dessen spuckte ich etwas Luft und grünen Schleim aus, während der
Wachmann einen Schwinger auf mein linkes Ohr folgen ließ. Die Welt
schwankte bedenklich auf ihrem Gerüst. Er riß meinen Kopf an den
Haaren nach unten, von wo mir schon sein Knie entgegenkam. Immer
dieselben fiesen Tricks, aber es half nichts: an dieser Stelle der
Fahrbahn war kein Platz zum Ausweichen. Das Weltengerüst kippte zur
Seite.
***
„I-i-ich g-g-g-glaube, er w-w-w-wacht
auf!“
Die Stimme eines unbekannten Mannes
drang nur ganz langsam zu mir durch. Ich war mir unsicher, ob ich die
immense Kraftanstrengung leisten sollte, meine verklebten Auge zu
öffenen. Lohnte es sich? Lohnte es sich, auch nur zu atmen? Immerhin
strengte das ziemlich an.
„Ich kann da nix bemerken, seine
Augen sind noch zu!“, sagte eine Frauenstimme, die mir unbekannt
war..
„A-a-a-aber, er h-h-hat eben
ge-ge-ge-gezuckt!“
„Das besagt noch gar nichts. Aale zum
Beispiel zucken noch, wenn man sie in Stücke geschnitten und in die
Pfanne geworfen hat.“
„Wir sollten uns nach einer Pfanne
umsehen. Einer großen!“ – Das war erkennbar die Stimme von
Bayan. Ich befand mich also noch nicht im Jenseits. Da mir das
Augenöffnen eine übertriebene Energieverschleuderung zu sein
schien, probierte ich es mit einem Stöhnen.
„Hö-hö-hö-hört ihr? Er
w-w-w-w-wacht auf!“
Der Stotterer irrte sich. Ich glitt
wieder zurück in die warmen Arme der Bewußtlosigkeit.
***
Später dann wachte ich aber doch auf.
Fühlte ich mich diesmal etwas kräftiger und riskierte einen Blick
durch meine verschwiemelten Lider. Ich sah - nichts. Es war alles
schwarz um mich herum! Besorgnis keimte auf. Hatten sie mich in einen
Sarg gesteckt und beerdigt? Ich wollte gegen den Sargdeckel trommeln
– doch da war kein Sargdeckel. Panik stieg in mir hoch. Was war
das? War ich tot? Trieb ich verbindungslos im Orbit? Ich wälzte mich
herum – und fiel von einer Pritsche herunter. Platsch.
Eine Tür ging auf und das
hereindringende Licht flutete über den kalten Kachelfußboden. Ich
konnte wieder sehen! Wie schön. Fühlte mich wie neugeboren, als ich
den Kopf hob und den Blick nach oben richtete. Vor mir ragten die
Beine einer Frau empor.
***
Später saßen wir dann alle an einem
langen Tisch und tranken. Babydoll Moni und Sally erzählten mir
abwechselnd, wie sie mich kurz vor der endgültigen Zermatschung aus
den Fängen der Torwächter befreit hätten. Man hatte mich zum
ortsansässigen Kleriker zur Reanimation gebracht, da Moni diesen
Spruch angeblich nicht drauf hatte. Dort hatte man mich in ein großes
Becken mit geweihtem und mit einer Waschlotion versehenem Wasser
geworfen und mir dann die Drecks- und Blutkruste abgekratzt. Die Frau
mit den Beinen – das war Jaheira gewesen. Auf diese Beine starrte
ich auch im Moment, aber ich machte es auf eine geschickte Art und
Weise. Ich blickte durch mein Bierglas hindurch, in welchem sich
diese Beine auf’s Anmutigste kaleidoskopisch brachen.
Kaleidoskopisch. Hhmmm. Kaleidoskopisch... Na, so ganz schien ich
immer noch nicht wieder hergestellt zu sein.
Wir befanden uns in der einzigen
Taverne am Ort. Wir, das waren Sally, Babydoll, Bayan, Jaheira,
Khalid und ich. Khalid war angeblich mit Jaheira verlobt. Ich hätte
es eher so ausgedrückt: er war ihr verfallen. Das konnte man sehen
an der Art, wie er sie mit Hundeaugen anglotzte, während sie ihn
meistens ignorierte oder wie einen kleinen Jungen behandelte. Sie
hatte bei ihm den Daumen drauf. Aber sie ließ ihn nicht ran. Darauf
hätte ich meine sämtlichen Ersparnisse verwettet.
Ich kannte diese Art von
Beziehungskisten. Männer haben Wölfe und Löwen gekillt, sie
kämpfen erfolgreich gegen Drachen, Aliens und weniger erfolgreich
gegen die Hundescheiße auf den Straßen, sie haben den Weltraum mit
ihren Raketen im Griff und können einer tausender Motoguzzi ihren
Willen aufzwängen. Aber wenn so ein Violinenform-Popöchen
daherkommt und verlockend unter einem viel zu kurzen Kettenhemd hin
und herwackelt, dann verläßt sie der Mumm, dann fangen sie an, wie
Kleinkinder zu sabbern und machen den Rücken krumm und lassen sich
vorführen.
Jaheira war eine von diesen Frauen, die
sämtliche Männer in ihrer Umgebung fickerig machen und das genießen
und doch allabendlich unberührt in ihr Bettchen hüpfen und mit dem
Stofftigern schmusen. Sie hatte das Zeug dazu. Ihre Beine unter dem
kurzen Kettenhemd waren phänomenal. Sie hatte halbkurze, brünette
Locken und einen sinnlichen Mund, der zum Lutschen prädestiniert
schien. Zu allem Überfluß war da ein Leberfleck neben ihrem rechten
Mundwinkel. Ihre Augen standen leicht schräg und verliehen ihr etwas
Katzenartiges. Wenn sie aufstand, um ein neues Getränk vom Thresen
zu holen, dann drehte sie sich auf eine spezielle, schlangenartige
Weise in den Hüften, sie umkurvte die herumstehenden Leute und
Stühle und Tische auf eine geradezu musikalische Art. Es war kaum
zum Aushalten! Eine Epiphanie der Verführung, die Apotheose dessen,
was jahrelange Vollwerternährung und regelmäßiges Joga-Joggen
bewirken konnten! Die Göttin der Schlampen!
Es war schwierig, sich zu
konzentrieren, wenn man auf diese Beine starrte, egal, ob ein Glas
dazwischenstand oder nicht. Zum Glück hatte ich Sally und stand also
nicht völlig verloren unter Druck, aber es war auch so schwer genug,
cool zu bleiben. Khalid hatte keine Sally. Vielleicht hätte sich
Moni seiner erbarmt, aber Khalid hatte keine Augen für andere Frauen
als Jaheira. Er war ein Gefangener. Ein Sklave. Eine verkorkste
Chance.
Wir saßen da und tranken und
unterhielten uns über Gorion und die Spinner, denen wir im Wald
begegnet waren. Jaheira wollte wissen, wie die ausgesehen hatten.
„Groß!“, meinte Sally. „Groß,
schlank und dunkelhäutig.“
„Und bärtig. Sie hatten lange
Bärte.“, fügte Bayan hinzu.
„Na und, was besagt das schon!?“,
warf Moni ein. „Alle Welt trägt heutzutage Bärte!“
„Das ist bedenklich.“, meinte
Jaheira und machte dabei ein versonnenes Gesicht. Khalid glotzte sie
an.
„B-b-b-b-bedenkli-li-li-lich?
W-w-w-wieso?“
„Es könnte sich um einen
Terroranschlag gehandelt haben.“
„Wie kommst du auf Terroranschlag?“,
wollte Sally wissen. Ihre Stimme hatte einen leicht gereizten
Unterton und ich entschied mich, mal woanders hin als auf den Rand
von Jaheiras Kettenhemd zu gucken.
„Es paßt alles. Groß, dunkelhäutig
und bärtig. Und dann wird Gorion getötet. Gorion war ein
engagierter Streiter für die Gleichberechtigung der Orks und Gnolle.
Er kämpfte für die Versöhnung der Rassen und trat für eine
Entspannungspolitik gegenüber Menzoberranzan und Amn ein.“,
erklärte Jaheira. Ich verstand nur Bahnhof.
„Kapier ich nicht.“ Moni verstand
auch nur Bahnhof.
„Ja, seit ihr denn gar nicht auf dem
Laufenden?“ Jaheira guckte uns der Reihe nach mit ihren
Scheinwerferaugen erstaunt an. Mir lief ein Schauer über den Rücken,
als ich an der Reihe war.
„Klär uns doch auf, Katzenauge!“,
zischte Bayan, dem die Erwähnung von Dunkelhäutigen, Gnollen und
Menzoberranzan nicht zu gefallen schien.
„Ja, hattet ihr denn keine
Marktschreier in Kerzenburg? Habt ihr nichts mitgekriegt von dem
Selbstmord-Anschlag auf den Großen Deumel im Hafen von Baldurs Tor?“
Unseren Gesichtern war zu entnehmen,
daß wir wohl tatsächlich noch nichts davon gehört hatten.
„D-d-d-da ha-ha-aben die f-f-f-fiesen
D-d-d-d...“, begann Kahlid zu erklären. Doch Jaheira unterbrach
ihn:
„Laß mich mal erklären, Kahlid,
dann dauert’s nicht den ganzen Abend.“
Khalid nickte ergeben.
„Also Folgendes: Vor sechs Wochen
haben einige Drow einen Linienflugdrachen gekidnappt. Sie drohten,
die Flughäute des Drachen mit Teppichmessern zu zerschneiden und
brachten ihn so unter ihre Kontrolle. Sie verbanden ihm die Augen,
sodaß er sich beim Fliegen nur noch auf ihre mündlichen Anweisungen
verlassen konnte. Dann zwangen sie ihn, Bombelbeeren und weiße
Bohnen zu fressen. Ihr wißt alle, welch fatale Auswirkungen
Bombelbeeren in Verbindung mit weißen Bohnen auf das
Verdauungssystem von Drachen haben können. Normalerweise ergibt das
explosive Fürze, was sich die Groß-Agrarier von Süd-Faerun zunutze
machen, um so ganze Wälder schnell und effektiv zu roden. Das Timing
der Drow war perfekt: Noch bevor der Drache die sich in seinem Magen
sammelnden Gase nach hinten rauslassen konnte, hatten sie ihn über
den Hafen von Baldurs Tor navigiert. Dort steuerten sie ihn direkt in
den großen Deumel, das Wahrzeichen von Baldur’s Tor. Beim
Zusammenprall wurde der Linienflugdrache (samt seinen Passagieren)
sozusagen verdichtet, sein Hals schob sich, wie Experten nacher
ausgerechnet haben, nach hinten durch wie ein Kolben in einem
Verbrennungsmotor. Dadurch entstand in seinem Magen ein Druck von
mehr als 20000 bar. WUMMS!!! Die Explosion war verheerend, der ganze
große Deumel wurde einfach weggesprengt. Die davonfliegenden Trümmer
regneten über das gesamte Stadtgebiet hernieder. Selbst der
Herzogspalast wurde beschädigt.“
Wir waren alle wie paralysiert. Als sie
WUMMS! gesagt hatte, war sie zur Verdeutlichung aufgesprungen und
dabei hatte ihr Busen unter dem Kettenhemd eine anbetungswürdige
Bewegung vollführt, die mich an den Gesetzen der Schwerkraft
zweifeln ließ. Der ganze Kram mit dem großen Deumel oder den
furzenden Drachen hatte mich weniger gefesselt als beispielsweise
Moni.
„Wie?!“, rief die Lilliputanerin,“
Der große Deumel ist zerstört? Dieses herrlich schlank emporragende
Gebäude? Dieses Wahrzeichen nicht nur von Baldurs Tor sondern der
gesamten freien Welt? Welch ein Unglück! Der große Deumel wurde
einst von uns Zwergen gebaut, er war eine Auftragsarbeit, wie wir
noch nie eine bekommen hatten. Er war so hoch wie die Berge, in
welchen Boldrin III wohnte. Ein mächtiger Zwergenkönig mit einem
legendären Drenglszurksw! Nach diesem Drenglszurksw war der „Große
Deumel“ (denn das ist die Übersetzung vom zwergischen
Drenglszurksw) geformt. Er stand für die Potenz der Wirtschaftsmacht
von Baldurs Tor, er symbolisierte für uns den Glanz der Geschäfte,
die aufgerichtete Freiheit, den erigierten Frieden, die Schönheit
des Goldes...“
Moni war am Boden zerstört.
„Schlimme Sache, das!“, meinte ich
mitfühlend. Mein Bier war alle. Ich stand auf, um mir ein neues zu
holen. Der Kneipenbesitzer war ein Schwager von Jaheira und deshalb
konnten wir alle frei essen und trinken. Ich fand’s sehr gemütlich
hier.