Traum von Vanillepudding
Irgendwann hatte ich die Schnauze voll,
packte meine Siebensachen und zog bei Sally aus.
Doch erst viel später.
Zuerst fing es ganz nett an in
Beregost. Nach einer romantisch durchwachten Nacht auf dem Flachdach
des Beregoster Tempels hatten uns morgens die anderen aus der Gruppe
befreit, indem sie die Wölfe vertrieben. Khalid behauptete, sein
sch-sch-scharfes Sch-sch-Schwert habe ihnen Angst eingejagt, Jaheira
meinte, sie habe sich auf der nur ihr eigenen Druiden-Ebene mit dem
Rudelführer verständigt. Wahrscheinlich aber waren die Viecher vor
dem neuen Parfum geflohen, daß Babydoll Moni bei einem schwulen
Friseur namens Garrick erstanden hatte. Wie auch immer – nach
überstandenem Schrecken fiel Sally und mir auf, daß einer fehlte:
Bayan.
Nicht, daß ich darüber besonders
traurig gewesen wäre, genaugenommen fiel es mir eher positiv auf.
Die anderen berichteten, daß Bayan von der örtlichen Wache wegen
Terrorismus-Verdachtes festgenommen worden sei.
„Man hat ihn nach Baldurs Tor
verschleppt!“, jammerte Moni. „Dort sitzt er jetzt im Kerker. Im
Hochsicherheitstrakt! Der arme Kerl. Er muß jetzt jede Nacht Angst
haben, von irgendwelchen Mitgefangenen vergewaltigt zu werden...“
„Da sollte man eher Mitleid mit den
anderen Gefangenen haben...“, wendete ich ein.
„Wie auch immer“, sagte Jaheira,
„Der Leiter des Hochsicherheitstraktes ist ein echt harter Knochen,
von dem hab ich schon gehört. Angelo Giuliani oder so ähnlich...
Aus diesem Kerker kommt kaum jemand lebend wieder raus, und wenn,
dann als gebrochene Persönlichkeit.“
„Klingt nach ner Einrichtung, die
sich um das Allgemeinwohl verdient macht!“, überlegte ich.
Sally sah mich streng von der Seite an.
„Wir müssen ihn da wieder
rausholen!“, sagte sie.
„Rausholen?!“, wollte ich wissen.
„Aus einem Hochsicherheitstrakt? Wie denn das? Na klar, man kann so
ein Gefängnis einfach plattwalzen... Ich hole schon mal den
Bulldozer. Wo hatten wir den noch gleich geparkt?“
„Nein, nicht so.“, sagte Sally.
„Wir ziehen vor Gericht. Das geht doch nicht, daß sie einfach so
Bayan einsperren, ganz ohne Grund...“
„Naja“, gab Jaheira zu bedenken,
„Einen Grund haben sie schon: er ist nun mal ein Drow. Seit dem
Attentat auf den großen Deumel haben Drow es hierzulande nicht
leicht. Es gibt inzwischen Sondergesetze, die erlauben, einen
verdächtigen Drow solange ohne Haftbefehl festzuhalten, bis seine
Schuld bewiesen ist.“
„Und wenn er unschuldig ist?“,
wollte Sally wissen.
„Dann dauert’s natürlich ein
bißchen länger.“
„Sehr weise Gesetzgebung!“, befand
ich.
„Das ist empörende, brutalste
Verletzung sämtlicher Zwergenrechtsstandards!“, ereiferte sich
Babydoll Moni. „Sie werden ihn foltern da drinnen, ich weiß das!
Erniedrigen und bestehlen werden sie ihn! Man wird ihm seine
kärglichen Nahrungsrationen abnehmen und ihn zwingen, die Latrinen
mit der Zahnbürste zu säubern. Zu viert werden ihn seine
Mithäftlinge festhalten und der fünfte wird ihm ganz langsam und
fies den Zeigefinger hinten reindrehen und nach dem Zeigefinger
nehmen sie...“
„Wir haben so ungefähr verstanden,
worauf du hinauswillst!“, unterbrach Sally sie. „Also nochmal: Da
sitzt ein Unschuldiger im Gefängnis und man kann nichts dagegen
tun?“
„Doch, schon.“, sagte Jaheira. „Wie
in allen Rechtstaaten kann man die Verantwortlichen bestechen.
Zehntausend Piepen cash dem Angelo in die Hand – und schon ist
Bayan wieder frei.“
„Soviel haben wir nicht“, gab ich
freudig zu bedenken. „Im Gegenteil: Wir haben sogar noch Schulden
bei diesem Drecksloch von einem Priester im Tempel.“
„Und woher kommt das?“, wollte
Jaheira wissen und zog dabei ihre Augenbrauen auf so eine bestimmte,
schnippische Art hoch.
„Genau, woher kommt das!“, stimmte
Sally zu. „Nicht nur die dreitausend Goldstücke mußten wir
aufbringen, ich durfte sogar noch meinen hübschen Knackarsch
hinhalten...“
Alle sahen sie mich vorwurfsvoll an,
Khalid eingeschlossen. Beim vorwurfsvollen Gucken stotterte er
nicht...
„Also jetzt macht mal halblang!“,
verteidigte ich mich, „Ich habe nicht darum gebeten, wiedererweckt
zu werden. Man hat mich nicht gefragt! Noch nie! Schon meine Mutter
hat mich nicht um meine Meinung gebeten, als ich geboren wurde. So
ging das immer weiter! Ich schulde niemandem was, ich bin zu nichts
verpflichtet, ich habe nichts unterschrieben...“
Die Vier guckten mich immer noch
vorwurfsvoll an. Mit fragendem Unterton in den gerunzelten
Augenbrauen. Langsam rann mir der Schamschweiß den Rücken runter.
Schließlich meinte Sally ganz ruhig: „Na gut, das wäre also
geklärt. Wir sollten uns jetzt überlegen, wie wir die zehntausend
Piepen für Bayan zusammenbekommen.“
„Wir könnten Straßenmusik machen!“,
schlug Moni vor. „Im Priesterseminar habe ich jede Menge Lieder
gelernt. Die bringe ich euch bei, wir singen dann so schöne barocke
Chöre...“
„ ... und Khalid improvisiert in den
oberen Stimmlagen ein wenig“, ergänzte ich.
„Hank hat heute seinen verbindlichen
Tag“, sagte Sally. „Und nun möchte er etwas Konstruktives
vorschlagen, nicht wahr, mein Schatzzz?“ In ihrem Schatzzz steckte
ein ganzer Beutel voller zerstoßener Flaschen, so klirrte sie.
Also suchten wir uns Jobs, die vier
Frauen und ich. Khalid heuerte als Reinigungsfachkraft in einer
kleinen Kneipe an. Er kratze allmorgendlich die Kacke von den
WC-Rändern, fegte die Glasscherben im Schankraum zusammen und spülte
die Kotze vor der Eingangstür in den nächsten Gully. Alle vierzehn
Tage hatte er einen Nachmittag frei.
Jaheira wurde Unternehmerin. Sie zog
zuerst mit einem Bauchladen durch die Gegend, aus dem sie
Hustenbonbons, Schnürsenkel und selbstgemixte Teemischungen unter
die Leute brachte. Das Geschäft ging gut, bald eröffnete sie einen
kleinen Ökoladen mit fair gehandeltem Fischbein aus Zehnstädte,
garantiert nebenwirkungsfreien Schönheitscremes aus Aloe-Balsam und
unter der Theke angebotenem Dope aus Amn. Dafür bestand Nachfrage,
es wurden Pläne zur Expansion durch Filialen in allen wichtigen
Städten an der Schwertküste geschmiedet. Man munkelte,
Jaheira-Markets würden demnächst an die Börse gehen...
Moni rannte mit schwarzem
Spitzenhäubchen und einer Spendenbüchse durch die Gegend, erzählte
den Menschen spirituellen Unsinn und verkaufte ihnen
selbstgeschriebene Traktate über den Untergang der Welt und die
Unterdrückung bärtiger Frauen. Ihr Geschäft lief nicht so gut.
Sally ging wieder ihrer alten Arbeit
nach. Entweder, sie nahm sich anscheinend herrenloser Geldbörsen an,
oder, da sich derartige Gelegenheiten rar machten, sie hielt ihren
kleinen Knackarsch dem Meistbietenden zu temporärer Verfügung hin.
Das paßte mir nicht wirklich, das ging gegen meine Ehre. Aber
irgendwer mußte ja die Miete zahlen...
Nun gut, ich versuchte, mein Teil dazu
beizusteuern. Aber es war nicht so einfach für mich, einen Job zu
finden. Ab und an fand sich eine Aufhilfsstelle als Packer, wenn ein
ortsansässiger Händler mal eine größere Ladung aus Baldurs Tor
oder Tiefwasser geliefert bekam. Aber für so einen Vormittags-Job
gab’s natürlich nur Kleingeld. Gerade genug, um sich einen Abend
richtig volllaufen zu lassen. Echte Perspektiven eröffneten sich
dadurch nicht.
Genaugenommen hatte niemand auf einen
wie mich gewartet. Es bestand kein Bedarf an alternden Trinkern mit
metertiefen Akne-Narben im Gesicht. Der Arbeitsmarkt in Beregost war
wie leergefegt. Wochenlang ergab sich gar nichts. Ich lungerte in der
anderthalb-Zimmer-Bude, die Sally für uns beide angemietet hatte,
herum, starrte depressiv vor mich hin und trank, was sie von ihren
Freiern mit nachhause brachte.
Natürlich fing sie bald an zu meckern.
Hank, du solltest dich mal rasieren, Hank, mit so einer Fahne gibt
dir kein Personalschef auch nur die Hand, Hank, furz nicht dieses
kleine Zimmer voll, schließlich geht das Fenster nicht auf, Hank, du
strengst dich einfach nicht genug an... Hank dieses und Hank jenes.
Es war keine harmonische Zeit.
Eines Tages hatte Sally großartige
Nachrichten für mich. Einer ihrer „Freunde“ sei ein Edelmann,
der ein großes Stück Wald etwas weiter nördlich besitze. Dort
würden noch Waldarbeiter gebraucht.
„Hey Hank!“, meinte sie, „Das ist
genau das Richtige für dich! Einfache, ehrliche Arbeit bei viel
frischer Luft. Du bewegst dich mal ein bißchen, und bezahlt wird
gut. Dreimal soviel, wie Khalid bei seinem Job verdient. Stell dir
das mal vor! Da gibt’s nicht mal irgendwelche
Ausbildungsvoraussetzungen. Alles, was zu tun ist, bringen sie dir da
bei! Und wenn bestimmte Leistungen erreicht werden, gibt’s
Bonuszahlungen. Mensch, da kannst du richtig reich werden!“ Ich war
skeptisch, aber nicht in der Position, das Angebot abzulehnen.
Das Holzfällerlager, wo ich meinen
neuen Job anfangen sollte, lag ein ganzes Stück weiter nördlich als
Beregost. Es lag so weit entfernt, daß ich die Hoffnung, abends nach
der Arbeit heim zu Sally zu fahren, gleich begraben konnte. Das sagte
mir der Typ, der hier in Beregost die Leute anwarb.
Er saß in einem winzigen Büro. Das
Büro war wohl nur für diesen einen Tag angemietet. Es stand darin
ein Bürosessel mit Lehne und davor ein Schreibtisch. Links an der
Wand hing ein Bild mit einer großen, roten Ameise drauf. Die Ameise
balancierte einen gelben Helm zwischen ihren Fühlern und trug eine
Säge in der Hand. Das war natürlich Blödsinn, weil Ameisen ja
eigentlich gar keine Hand haben. Diese hatte sogar mehrere. Mit einer
anderen Hand, die sie zur Faust geballt hatte, grüßte sie kernig
aus dem Bild heraus. In einem Bogen über der Ameise stand in
Goldbuchstaben: DIE WALDAMEISE – DEINE HILFE UND DEIN VORBILD!
Unten drunter war der Name des
Unternehmens gedruckt: „Spider-Forest Wood-works inc.“
Ich kam also in das Büro mit der
kernigen Ameise und baute mich vor dem Schreibtisch auf. Da war kein
Stuhl oder sowas. Man mußte stehen. Der Typ auf dem Bürosessel
hinter dem Schreibtisch hieß Marlsen. Stand auf einem Schild, das er
sich ans Hemd geheftet hatte. Marlsen war klein und wirkte ziemlich
zäh. Seine eine Hand fuhr beim Sprechen immer wie ein Besen über
dem Tisch hin und her. Er hatte kurze Haare und seine Augen waren
stumpf, aber aufmerksam.
„Chinasky“, begrüßte er mich,
„Chinasky – Sie suchen einen Job, wir können Ihnen einen solchen
anbieten.“ Er schaute mich mit einem spitzen Grinsen an, als
erwarte er, daß ich darauf was Kluges antwortete. Eine Ratte. Eine
smarte Karrierenratte.
„Mister Marlsen, das hört sich gut
an.“, sagte ich. „Ich nehm den Job.“
Er lachte. Es klang wie der Balzgesang
eines asthmatischen Gürteltiers.
„Oho, Chinasky,
oho! Einer von der schnellen Sorte, wie? Die Frage ist doch:
passen Sie zu uns? Wie sieht Ihre Arbeitseinstellung aus? Ha’m Sie
schon mal als Waldarbeiter rangeklotzt? Buchen gepflanzt,
Krüppelholz gerodet, Fichten entastet?“
Ich hatte noch nie etwas mit Bäumen
anfangen können. Pflanzen waren nicht mein Ding, nicht mal mit
Gänseblümchen hatte ich bislang warm werden können.
„Ja, Mister Marlsen, ich hab schon in
diversen Forsten gearbeitet. Entasten, Pflanzen, Roden – das volle
Programm. Ich mag die Arbeit. Die frische Luft und so. Daß man was
mitkriegt von dem Wetter und den Jahreszeiten. Die herzhafte Art der
Kommunikation unter den Arbeitern. Nicht lange rumreden, anpacken.
Daß man abends merkt, was man getan hat. Unser Herrgott hat damals
schon dem Adam gesagt: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein
Brot verzehren...“
„Genug, genug! Ich sehe, Sie passen
genau in unser Team. Morgen um halb fünf geht der Ochsenkarren hier
auf dem Marktplatz ab. Er wird Sie und Ihre neuen Kollegen in unser
Arbeitercamp im Spider Forest bringen. Seien Sie pünktlich, wir
wollen nicht erst nach Sonnenaufgang aufbrechen, sonst müssen wir
unterwegs übernachten und ein Arbeitstag ist verloren.“
Kurz war ich geschockt. Die Ratte
meinte halb fünf Uhr morgens! Aber ich ließ mir nichts anmerken.
„Ich werde da sein, Mister Marlsen,
kein Problem. Wegen der Bezahlung...“
„Ah ja, ah ja, die Bezahlung. Klar,
Chinasky, gut, daß Sie fragen. Also Sie haben schon in anderen
Forsten gearbeitet – dürfte ich bitte Ihre Beurteilungsschreiben
aus diesen Arbeitsverhältnissen sehen?“
„Sowas hab ich nicht. Da, wo ich
gearbeitet habe, legte man keinen Wert auf Papierkram. Wir haben
malocht, abends gab’s den Lohn bar auf die Kralle...“
„Nun, Mister Chinasky, das läuft bei
uns etwas anders. Es muß alles seine Ordnung haben bei uns, die
Bücher müssen stimmen. Wir können nur ausgewiesenen Fachkräften
den vollen Lohn zahlen. Wer nicht belegen kann, daß er die Arbeit
schon aus dem Effeff beherrscht, muß zunächst mit Abschlägen
rechnen, solange, bis sein Vorarbeiter ihn höher einstuft. Also
fangen Sie mit einem niedrigeren Grundgehalt an. Wir zahlen Ihnen
erstmal vierzehn Kupferpfennige die Woche, also zwei Pfennig pro Tag.
Macht nach weniger als zwei Monaten schon einen Goldtaler! Da sind
die Boni für Plansollübererfüllung noch gar nicht mal
eingerechnet. Und wenn der Vorarbeiter Ihnen bescheinigt, daß Sie
gut und professionell arbeiten, erhöht sich der Lohn auf dreieinhalb
Pfennige pro Tag!“
„Mister Marlsen, ich hatte mit
mindestens vier Pfennigen pro Tag gerechnet. Man muß doch auch
irgendwovon leben!“
„Wir haben im Camp einen Händler,
bei dem Sie alle Artikel des täglichen Gebrauchs günstig erstehen
können, günstiger als hier in Beregost! Sie können sogar bei ihm
anschreiben lassen.“
„Ja gut, aber zwei Pfennig pro
Tag...“
„Chinasky, wir haben allerhand andere
Bewerber für den Job. Wolln sie ihn oder was?!“
„Ja, sicher...“
„Na dann ist ja alles in bester
Ordnung. Wir sehen uns morgen früh. Ach ja: Arbeitskleidung nicht
vergessen!“
Damit war ich draussen.
In der Nacht träumte ich von
Heerscharen behelmter Ameisen, die um einen großen Vanille-Pudding
rumliefen und mit Kettensägen versuchten, Stücke davon
herauszutrennen. Sie machten einen Höllenlärm mit diesen Dingern,
sie fuchtelten wie wild damit herum und stachen von oben in den
Pudding rein. Aber immer, wenn sie unten mit der Säge ankamen, hatte
sich oben die glibberige Masse schon wieder geschlossen. Statt sich
darüber zu ärgern, fingen die Ameisen wieder oben an zu sägen. Es
war ein Bild der Sinnlosigkeit. Dabei sangen sie fröhlich. Ich stand
mitten auf diesem klebrigen Puddig und versuchte, ein paar
Gänseblümchen, die ich gepflanzt hatte, durch Streicheln dazu zu
bewegen, ihre Wurzeln in diesen wabbeligen Pudding reinzustecken. Sie
zierten sich, mochten wohl keine Vanille. Es war aber nun mal mein
Job, diese Gänseblümchen da anzupflanzen, es war Akkordarbeit, wenn
ich das verfickte Grünzeug nicht zum Wachsen brachte, gab’s kein
Geld. „Ihr dreckigen, miesen, hinterhältigen Blütenköppe, jetzt
habt euch nicht so, wachst endlich, verdammichnochmal!“ brülle ich
sie an. Aber die Gänseblümchen wußten, daß sie am längeren Hebel
saßen und kicherten nur so vor sich hin. Ich kriegte einen Riesenhaß
auf alles, was Chlorophyll in seinen Blättern trug. Vor Wut stampfte
ich mit dem Fuß auf. Dabei druchbrach ich die dünne Haut des
Puddings und sank mit dem Fuß bis zum Knie im Vanillematsch ein. Als
ich das Gewicht auf den anderen Fuß verlagerte, um mich wieder
rauszuziehen, riß auch unter dem die Haut, und bald steckte ich bis
zur Hüfte im Glibber. Ich kriegte die Panik, ich wußte, ich würde
in Vanillesoße untergehen und ersaufen, ich schrie um Hilfe, aber
niemand achtete darauf. Unten, am Fuß des Riesenpuddings,
marschierten immer noch die Sicherheitshelmameisen im Kreis und
sangen Arbeiterlieder...
Schweißgebadet erwachte ich. Es war
stockdunkel, aber Sally rüttelte mich. Sie roch nach Vanille. Im
ersten Moment dachte ich, sie wolle ficken.
„Oh Baby, nicht mitten in der Nacht!
Wie kann man es so nötig haben?“, stöhnte ich.
„Es ist kurz nach vier, Hank! Pack
Deine Sachen! Du mußt los, sonst fährt der Holzfällerwagen ohne
dich ab.“
Eine knappe halbe Stunde später stand
ich auf dem Marktplatz, wo sich schon die anderen neuen Arbeiter
versammelt hatten. Es war noch stockfinster. Es regnete. Es war kalt
wie das Lächeln des Sensenmannes und ich hatte einen Kater. Man
hätte meinen können, es werde bestimmt nicht noch schlimmer.
Wir waren insgesamt zwölf Männer plus
Marlsen und der Fahrer des Wagens. Es handelte sich um einen ziemlich
großen Lastkarren mit vier riesigen Holzrädern und zwei Ochsen
davor. Die Ochsen waren riesig und schwarz. Der Regen, der auf ihre
breiten Rücken pladderte, verdunstete dort, sodaß über ihnen
kleine Dampfwolken aufstiegen. Sie stanken nach Jauche, Tod und
Wahnsinn. Im Gegensatz zu normalen, friedlichen Milchkühen hatten
sie sehr kleine Augen, blutunterlaufen. Man hatte ihnen Eisenringe
durch die Nasen gebohrt. An diesen Ringen war ein stabiles Band
befestigt, das der Kutscher in der Hand hielt. Er brauchte wohl neben
seiner Peitsche ein zusätzliches Druckmittel, um diese Muskelberge
zu motivieren. Die Tiere guckten mißmutig und der Sabber lief ihnen
an der Seite aus dem Maul. Ab und an schlugen sie mit ihren
schlammverkrusteten Schwänzen hin und her. Dabei flogen kleine
Dreckbrocken durch die Gegend. Wenn ich als Kind meine Tante besucht
hatte, war da immer Ochsenschwanzsuppe aufgetischt worden.
Auf dem Wagen waren längseitig zwei
Bänke montiert. Auf jeder Seite saßen sechs von uns. Wir waren so
gezwungen, die ganze Zeit über die andere Reihe anzugucken, wie
deren Köpfe bei jedem Schlagloch hin und her, hoch und runter
schlenkerten. Ich mußte an eine aufblasbare Sexpuppe denken, die mir
ein paar Kumpel vor Jahren mal zum Geburtstag geschenkt hatten. Das
war der reinste Nepp gewesen: der Kopf durch einen viel zu dünnen
Hals an den Körper geklebt, und wenn man die Puppe hin und her
schüttelte, dann wackelte ihr Schädel, als würde er gleich
abfallen.
Von den Kopfbewegungen mal abgesehen,
hatten die Jungs hier im Wagen wenig mit Sexpuppen zu tun. In der
Dunkelheit hatte ich sie gar nicht richtig sehen können, aber jetzt,
wo wir uns gegenübersaßen und die Dämmerung langsam den Hintern
hochkriegte, konnte ich sie mir besser betrachten. Außer Marlsen,
der sich neben den Kutscher gepflanzt hatte, war ich der einzige
Mensch auf dem Wagen.
Eigentlich bin ich kein Hänfling, mit
meinen einsfünfundachzig und dem Bierbauch. Aber die anderen Jungs
auf dem Wagen sahen um einiges stabiler aus als ich. Die Hälfte von
ihnen trug lange Bärte. Zwerge. Ich hatte mir als Kind Zwerge immer
winzig klein vorgestellt. Doch die hier waren alles andere als klein.
Na gut, sicherlich reichten sie nicht weit nach oben, sie gingen mir
vielleicht so bist zur Brust. Aber dafür luden sie zu den Seiten aus
wie spanische Galeonen unter vollen Segeln. Ihre Oberkörper waren
breiter als lang, ihre Arme glichen riesigen roten, dicken Bohnen.
Der Kleinste unter ihnen wog garantiert ebenso viel wie ich. Ohne ein
Gramm Fett.
Sie redeten nicht viel, und wenn, dann
nur untereinander in einer Sprache, die ich nicht verstand und die
vor allem aus Gurgeln und Schnalzen zu bestehen schien. Vielleicht
waren es aber auch nur Verdauungsprobleme.
Dann waren da noch sechs grünhäutige
Typen mit schwarzen Haaren. Sie waren nicht direkt groß. Sie waren
vielmehr riesig. Lang wie Basketballspieler, Figuren durch die Bank
wie Schwarzenegger. Ich schätze mal, daß jeder von denen gute
hunderfünfzig Kilo auf die Waage gebracht hätte. Wieder ohne Fett.
Sie redeten nur untereinander. Wenn
einer von ihnen mich anguckte, dann konnte ich in seinen Augen sehen,
was er von mir hielt: Für ihn war ich ein kleiner Haufen
weißhäutiger Dreck, etwas, daß er sich morgens nach dem Frühstück
zwischen den Zähnen rauspulte.
So zuckelte ich in einem Ochsenwagen
dahin. Allein mit elf Typen, die ihren wilden Träumen nachhingen, in
welchen Opfer wie ich nach allen Regeln der Kunst durch die Mangel
gedreht wurden. Und unsere Köpfe schaukelten hin und her und hin und
her.
Es regnete weiterhin. Der Wagen hatte
kein Dach, auch keine Zeltplane oder sowas für obendrüber. Bald
waren wir alle durchweicht wie Madeleines, die man in Tee tunkt.
Immer, wenn der Wagen über eine besonders tiefe Rille holperte,
wurde ich hochgeworfen und knallte dann mit einem nassen Squwatsch!
wieder auf die Bank. Den Zwergen ging es nicht anders, aber die
Grünhäutigen waren zu schwer für dieses Flummigehopse. Die Bank
ächzte unter ihnen und ich wartete darauf, daß sie irgendwann
brechen möge. Doch sie hielt durch.
Gegen Mittag stoppte der Wagen. Unweit
des Wegs war eine Art Unterstand aus Felsgestein, der wohl häufig
als Rastplatz genutzt wurde, denn es fand sich unter den
überhängenden Felsen auch eine Feuerstelle. Allerdings wehte der
Regen unter die Felsen und es gab kein trockenes Holz, mit dem wir
ein Feuer hätten machen können. Marlsen hatte in einem Sack mehrere
Dosen Erbsensuppe und einen Stapel Blechteller. Er warf uns den Sack
zu und ging dann zusammen mit dem Kutscher rüber zu einem kleinen
Gasthaus, das in Sichtweite vom Rastplatz stand und aus dem
Schornstein dampfte. Da ich keine Lust auf kalte Erbsensuppe hatte,
ging ich ihnen nach. Aber das Gasthaus hatte einen Türsteher mit
Löwenmähne und Zungenpiercing, der mich nicht reinließ. Nur für
zahlende Gäste...
Also ging ich zurück zu den anderen.
Die hatten inzwischen die Erbsensuppe unter sich aufgeteilt. Es war
eine gute Erbsensuppe, mit dicken Wurststücken drin, und sie roch
verführerisch. Ich kriegte nichts ab. Während die anderen grunzend
fraßen, ging ich mit knurrendem Magen rüber zu den Ochsen, nur, um
irgendwas zu tun zu haben. Die Ochsen zupften ein paar Grasbüschel
raus, die für sie erreichbar waren. Nicht gerade die richtige
Portion für solche Fleischberge. Ihnen ging wohl was ähnliches
durch die Köpfe, denn als ich einem von ihnen nahe kam, um ihn zu
streicheln, versuchte der, mich zu beißen. Er war zu langsam und
erwischte meine Hand nicht. Wütend stampfte und scharrte er mit den
Hufen und brüllte, daß mir die Eingeweide flatterten. Wir fanden
irgendwie keine gemeinsame Basis, der Ochse und ich.
Eine halbe Stunde später ging es
weiter. Wir saßen wieder auf den Längsbänken und ließen unsere
Köpfe wackeln. Die Grünhäutigen hatten sich anscheinend während
der Pause gegen mich verbündet. Jetzt ließen sie
verschiedenartigste Beleidigungen vom Stapel.
„Ey, Chinasky, du hast die häßlichste
Visage, die mir je begegnet ist!“
„Hey, Weißarsch! Hamse dich in
Domestos gebadet oder was?!“
„Chinasky, ich hab deine Mutter von
hinten gepimpert!“
„Hey, Kleiner, ich freu mich schon
auf die gemeinsamen Abende im Camp. Gibt’s da ne Liste, in die man
sich eintragen muß, oder hälst du jedem deinen Arsch hin?“
Ich guckte zwischen ihnen hindurch auf
die vorbeiziehende Regenlandschaft und tat, als würde mich das alles
nichts angehen. Was soll's, dachte ich. Schließlich sind wir nicht
auf dem Weg zu einem fröhlichen Ferienlager.